18 January 2005

Unterwegs im Tigerland

AUS KILINOCHCHI RALF LEONHARD

Der Zivilflughafen von Jaffna liegt mitten in der Hochsicherheitszone. Beim Anflug auf die Militärbasis Palaly sieht man verlassene Häuser und Ruinen, die schon vom Urwald verschlungen wurden. Hier leben ausschließlich Soldaten, Flugpassagiere werden von streng blickenden Militärs kontrolliert und vom Gelände eskortiert. Fotografieren, Filmen und der Gebrauch von Handys ist streng untersagt.

Die Halbinsel Jaffna im äußersten Norden Sri Lankas wirkt wie ein besetztes Land. 40.000 singhalesische Soldaten - einer für zehn tamilische Einwohner - sorgen dafür, dass die tamilische Befreiungsorganisation LTTE nicht auf die Idee kommt, diesen Landesteil erneut zu erobern. Militärs patrouillieren in den Straßen, verschanzen sich in den Dörfern hinter olivgrünen Sandsäcken oder verbergen ihre Posten hinter mit Palmblättern verkleideten Zäunen. Nicht alle wirken furchteinflößend: etwa wenn sie zu zweit auf einem wackligen Fahrrad unterwegs sind.

Hinter dem Checkpoint
Zerschossene Fassaden zeugen davon, dass hier einmal jeder Kilometer Straße umkämpft war. Erst nach etwa einer Stunde Autofahrt Richtung Südosten erreicht man den Checkpoint, hinter dem das LTTE-kontrollierte Gebiet beginnt. Die Grenze wurde im Februar 2002 gezogen, als das bis heute geltende Waffenstillstandsabkommen in Kraft trat. Kurze Passkontrolle auf beiden Seiten, schon ist man im Tigerland - jenem Landesteil, der von den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) verwaltet wird. Am Elefantenpass, der die Halbinsel Jaffna mit dem Rest des Landes verbindet, zeugt ein ausgebrannter Panzer von verlustreichen Schlachten. Doch das ist Vergangenheit. Uniformen sind überhaupt nicht zu sehen, nur tamilische Polizisten in ihren hellblauen Hemden und dunkelblauen Hosen sorgen für Ordnung im Straßenverkehr.

Vor allem mit Temposündern kennen sie keine Gnade. "Ich habe schon zehnmal zahlen müssen, als ich mit dem Motorrad zu schnell unterwegs war", sagt Kalatara lachend. Der Computeringenieur aus Toronto verbringt seinen Jahresurlaub in der alten Heimat. Seine Familie verließ Jaffna, als er sechs war. Damals verschärften sich die Kämpfe auf der Halbinsel. 18 Jahre lang hatte er Sri Lanka nicht gesehen, als er vor zwei Jahren erstmals zurückkam. Über die Tamil Relief Organisation (TRO), die die in alle Welt verstreuten tamilischen Gemeinden für die nationale Befreiung zur Kasse bittet, bekam er den Kontakt zum politischen Flügel der LTTE. Der war damals dabei, von Kilinochchi aus eine Zivilverwaltung auf die Beine zu stellen. Als Computerfachmann fand Kalatara reichlich Arbeit. Er will jetzt jedes Jahr die Weihnachtsferien hier verbringen.

Die tamilische Diaspora spielt eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau und dessen Planung: Das Konzept für die von der LTTE geforderte Autonomie wurde von einem Australier formuliert; Anton Balasingham, einer der Vordenker, sitzt in London; und Siva Gopad, Professor für Landvermessung an der Universität Ohio, arbeitet seit mehreren Monaten im Planungssekretariat.

Barfuß im Friedenssekretariat
Kilinochchi ist eine zersiedelte Stadt ohne erkennbares Zentrum. Die wichtigen öffentlichen Gebäude wie Polizeihauptquartier, Bezirksgericht und Schule liegen entlang der Hauptstraße. Der Sitz der LTTE-Führung und das Friedenssekretariat, das als Quasi-Außenministerium der Tigers fungiert, sind in ungepflasterten Nebenstraßen verborgen und diskret, aber gut bewacht.

Das Friedenssekretariat ist ein modernes Gebäude mit Spiegelglasfenstern. Nach sri-lankischem Brauch tritt man barfuß ein. Hier sitzt auch das Pressebüro der Tigers, im Hauptraum werden Gäste empfangen. T. S. Tamilselvan, der Chef des politischen Flügels der LTTE, erscheint in Begleitung seines Dolmetschers George und entschuldigt sich für seine knappe Zeit - ständig kämen Vertreter ausländischer NGOs und Journalisten. Er hofft, sagt er, dass die Friedensverhandlungen mit der Regierung bald wieder in Gang kommen, bedauert aber die Signale, die von Präsidentin Chandrika Kumaratunga ausgesandt werden. So habe sie UN-Generalsekretär Kofi Annan nicht erlaubt, die vom Tsunami verwüsteten Strände im LTTE-Gebiet zu besuchen. Tsamilselvan deutet an, dass er für den Friedensprozess einen Regierungswechsel für förderlich hielte. Oppositionsführer Ranil Wickremesinghe, der vor drei Jahren als Regierungschef den Waffenstillstand ausgehandelt hatte, sei wesentlich konstruktiver als der derzeitige Premier Mahinda Rajapakse. Sitze man erst am Verhandlungstisch, könne man auch über Abstriche am Entwurf für ein tamilisches Autonomiegebiet reden, das vielfach als Androhung einer Abtrennung interpretiert wird.

Tamilselvan lächelt verbindlich. Er ist das freundliche Gesicht der LTTE, deren militärischer Chef, Velupillai Prabhakaran, sich mit einer mystischen Aura umgibt. LTTE-Mitglieder sprechen von ihm als "unser großer Führer", sein Fotoporträt hängt in allen öffentlichen Gebäuden - auch hier in der Halle des modernen Gästehauses, wo Delegationen und Pressevertreter untergebracht werden. Dass der 50-jährige LTTE-Gründer seit dem Tsunami nicht mehr gesehen wurde, nicht einmal eine Botschaft an seine Leute gerichtet hat, nährt Gerüchte, er sei selbst Opfer der Flutwelle geworden. Das sei Feindpropaganda, heißt es bei der LTTE. Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, monatelang nichts vom "großen Führer" zu hören.

Neuanfang im Vanni-Gebiet
Der Vanni, jener etwa 350.000 Einwohner zählende Landstrich, der der LTTE vorübergehend überlassen wurde, ist nur ein Bruchteil jener tamilisch besiedelten Gebiete, die von den Rebellen lange Jahre de facto beherrscht wurden. Ein unfruchtbares Gebiet - in den Dörfern drängen sich palmstroh- und wellblechgedeckte Hütten, wichtigstes Fortbewegungsmittel ist das Fahrrad, das oft zu zweit benutzt wird. Privatfahrzeuge stammen zum großen Teil aus den 60er- und sogar 50er-Jahren, was nicht nur etwas über die geringe Kaufkraft der Einwohner, sondern auch über die Kunst der Mechaniker sagt.

Kilinochchi war jahrelang eine Geisterstadt. Die Frontlinie verlief mitten durch das bebaute Gebiet, längst ist es von Zivilisten geräumt. Die Gebäude sind entweder von Artillerie zerstört oder frisch renoviert, ein Wasserturm steht kurz vor der Fertigstellung. Rajanikanth ist vor zwei Jahren hierher gekommen. Er war mit seiner Familie 1996 von der Armee von der Insel Kytes vor Jaffna vertrieben worden. In Kilinochchi hat er sich niedergelassen, "weil mein Vater hier früher ein Geschäft hatte". Er ist heute Pächter eines kleinen Lokals an der Hauptstraße, schenkt Getränke aus, serviert kleine Speisen. Das Geschäft läuft gut: 8.000 bis 10.000 Rupien bleiben ihm jede Woche, davon kann er leben. Was er braucht, kauft er auf dem lokalen Markt - auch einen Generator für den Kühlschrank. Denn Stromversorgung ist Privatsache. Das Kraftwerk, dessen Bau die Regierung einst zusagte, existiert nur auf dem Papier.

Rajanikanth schenkt keinen Alkohol aus und schließt um 21.30 Uhr. Deshalb wohl sind Schlägereien in seinem Lokal noch nicht vorgekommen. Private Gewaltausbrüche gehören zu den häufigsten Delikten im LTTE-Gebiet. "Das wird bestraft, aber dann schicken wir auch Mediatoren, die weiteren Konflikten vorbeugen sollen", sagt Polizeichef Balasingham Nadesan. Er ist stolz auf seine Leute. Anders als die sri-lankischen Polizisten, deren Korruption notorisch ist, wurde von seinen Leuten noch nie einer beim Einstecken von Bestechungsgeldern erwischt. Politische Probleme gebe es hier keine, sagt Nadesan. Außer der LTTE sei von den anderen tamilischen Parteien noch keine auf die Idee gekommen, in Kilinochchi ein Büro zu eröffnen. "Die meisten Parteien sind ja mit uns in der Tamil National Alliance (TNA) zusammengeschlossen." Wer nicht in der TNA ist, die bei den jüngsten Wahlen praktisch alle Parlamentssitze des Wahlkreises abräumte, hat auch außerhalb des Vanni kein leichtes Leben. So klagte der langjährige tamilische Abgeordnete V. Anandasangaree von der Tamil United Liberation Front über Schikanen: seine Wahlveranstaltungen seien von LTTE-Leuten gestört worden. "Wenn es Frieden gibt, werden wir auch Demokratie haben", vertröstet der Polizeichef.

Ein Fischer auf Frauenfang
Wichtigster Ort an der Küste ist Muluaitivu, das vom Tsunami fast völlig von der Landkarte getilgt wurde. Von der Kirche steht noch ein trauriges Skelett, von den Häusern der Fischer zeugt kaum noch eine Spur. Im Waisenhaus, das 170 Kinder beherbergte, starben vor allem die Kleinsten. Die Aufräumarbeiten sind schon weit fortgeschritten, ein Bagger hebt Schutt auf die Ladefläche eines Lkws. Vor dem Waisenhaus zerkleinern Männer mit Spitzhacken und Brechstangen die Trümmer. Überall stehen Wassertanks, sogar Strom gibt es.

"Wir wollen, dass die Fischer ihre Angst verlieren und wieder an den Strand zurückkehren", sagt R. E. Maren, der lokale Manager des Planungs- und Entwicklungssekretariats der LTTE. Er hat sein Büro im Vidyanantha College, wo 1.100 Obdachlose untergebracht sind. Bis 300 Meter von der Küstenlinie soll nicht mehr gebaut werden. Nur die Fischer, die kein anderes Handwerk gelernt haben, sollen wieder ans Meer zurück. Der 35-jährige Kaneswaran, der seine Frau, beide Kinder, sein Haus und drei Boote verloren hat, kann sich überhaupt noch nicht vorstellen, wie es weitergehen soll. Wenn er keine Frau findet, die sich um ihn kümmert, sagt er, will er sich den Tigern anschließen: "Das sind die einzigen, die sich in der Stunde der Not um uns gekümmert haben."

taz Nr. 7561 vom 11.1.2005, Seite 5, 271 Zeilen (TAZ-Bericht), RALF LEONHARD

Quelle - TAZ-Germany

09 January 2005

Angstvolles Bangen um Landsleute auf Sri Lanka

Tage der Angst und der Ungewissheit liegen hinter Manivannan Sathasivam. Mittlerweile ist es für den 40-jährigen Tamilen, der seit eineinhalb Jahren in Herrenberg lebt, zur schrecklichen Gewissheit geworden: Einige seiner Verwandten und Freunde auf Sri Lanka sind bei der verheerenden Flutkatastrophe ums Leben gekommen.

Und das Bangen um weitere Angehörige ist noch nicht vorbei. Denn noch immer werden viele Menschen vermisst.

Von der Katastrophe hat Manivannan Sathasivam am Sonntagvormittag im Fernsehen erfahren. Sofort wählte er die Telefonnummern seiner Eltern und seiner Schwiegereltern, die in seiner Geburtsstadt Colombo auf Sri Lanka leben. "Meine Schwiegereltern haben gesagt, dass sie sofort weg müssen", berichtet Sathasivam im "Gäubote"-Gespräch. Zwar liegt Colombo an der Westküste und wurde somit im Gegensatz zur Ostküste nicht mit der vollen Wucht der Flutwelle getroffen. Trotzdem zeigte das Seebeben auch dort seine zerstörerische Wirkung und kostete zahlreichen Menschen das Leben. An einem höher gelegenen Ort wollten sich die Schwiegereltern vor den Wassermassen in Sicherheit bringen. "Wenig später war telefonisch kein Durchkommen mehr", sagt der 40-Jährige, der vor 20 Jahren nach Deutschland kam, aber immer wieder zu Besuch in seine Heimat reist.

Da die Telefonverbindung längere Zeit unterbrochen war, konnte er seine Eltern nicht erreichen. Mehrfach versuchte er, an Informationen über den Verbleib seiner Verwandten zu kommen. Sathasivam telefonierte mit seinen beiden Schwestern in Kanada und befreundeten Tamilen in Deutschland. Mal hatte jemand ein Lebenszeichen von dem Inselstaat im Indischen Ozean erhalten, oft aber auch nicht. Über das Schicksal seiner Verwandten wusste indes niemand Bescheid. Auch bei tamilischen Fernsehsendern in Paris und London, die vermisste Menschen auf Sri Lanka ausfindig zu machen versuchen, meldete er sich. Und er probierte, zu Krankenhäusern auf der Insel Kontakt zu bekommen teilweise vergebens.

Erst am Mittwochabend erreichte der verheiratete Vater von zwei Kindern seine Eltern in Colombo. Die Telefonverbindung funktionierte wieder. Seine Eltern waren ebenfalls vor dem Wasser geflüchtet und nun kurz in ihr Haus zurückgekehrt, um etwas zu holen. Sathasivam erfuhr auch, dass es seinen Schwiegereltern gut geht. Allerdings bekam er gleichzeitig sehr traurige Nachrichten: Seine Tante, deren 16-jährige Tochter und die Frau seines Onkels sind ums Leben gekommen. Auch einige Freunde konnten sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Wirbelstürme und Hochwasser sind auf Sri Lanka keine Seltenheit. Aber: "Eine derartige Katastrophe hat es noch nicht gegeben", sagt Manivannan Sathasivam. Dennoch kann er sich nicht nur durch die Bilder aus dem Fernsehen gut vorstellen, wie furchtbar die Situation in seiner Heimat ist. Mindestens 25 000 Menschen wurden dort getötet. Viele arme Familien, die in Häusern aus Holz und Palmenblättern gewohnt haben, sind obdachlos geworden. Aber selbst stabile Bauten konnten den Naturgewalten nicht standhalten. Die Überlebenden haben kein Wasser, nicht genügend Medikamente und es fehlt an Kleidung. Die Krankenhäuser in den betroffenen Gebieten sind nicht mehr in der Lage, die große Anzahl an Verwundeten aufzunehmen. Und die Seuchengefahr bei Temperaturen um die 30 Grad Celsius steigt von Tag zu Tag. Sorge hat Sathasivam auch angesichts der politischen Situation auf Sri Lanka. Zwar haben Tamilen und Singhalesen derzeit ein Abkommen über einen Waffenstillstand getroffen. Dennoch gab es bereits Meldungen, dass Lastwagen mit Hilfsgütern für die tamilischen Gebiete im Norden von Singhalesen aufgehalten worden seien. Für Sathasivam ist das unfassbar: "Es sind alle Menschen betroffen, egal ob Singhalesen, Tamilen oder Muslime. Mir tun alle Leid."

Für Sathasivam steht außer Frage, dass er den Menschen in seinem Heimatland helfen will. Gerne würde er selbst nach Sri Lanka fliegen, um vor Ort mitanzupacken. "Aber das geht im Moment nicht. Mehrere Tage oder Wochen wegzufliegen, kann ich mir nicht leisten." Deshalb wird er zum einen seine Angehörigen auf Sri Lanka soweit wie möglich von Deutschland aus unterstützten. Zum anderen beteiligt er sich an einer Hilfsaktion der "Tamilischen Rehabilitation Organisation" (TRO) einem in Wuppertal eingetragenen und bundesweit engagierten Verein. So haben Tamilen gestern Informationsveranstaltungen auf dem Sindelfinger Marktplatz und in der Stuttgarter Fußgängerzone organisiert und Spenden für ihre Landsleute in den Krisengebieten gesammelt. Unter anderem sollen von den Spenden Medikamente, Wasserentkeimungstabletten, Zelte und Nahrungsmittel bereitgestellt werden.

Betroffen vom Schicksal auf Sri Lanka zeigt sich auch Stefan Heinrich, Inhaber der Herrenberger Gaststätte "Schlosskeller", in der Manivannan Sathasivam als Koch arbeitet. Auf jeden Euro, den seine 15 Mitarbeiter für die Hilfsaktion spenden, will der Herrenberger zwei Euro drauflegen. "Die Menschen auf Sri Lanka haben Hilfe bitter nötig", sagt Stefan Heinrich.

Wer die "TRO Not Hilfe" unterstützen will, kann Spenden an die Stadtsparkasse Mönchengladbach überweisen, Konto: 224 162, Bankleitzahl: 310 500 00. ESTHER ELBERS

quelle - http://www.gaeubote.de/
Foto: Holom

08 January 2005

Tamilen sammelten in der Innenstadt für die Flutopfer

Die Bilder von zermalmten Hütten und verwaisten Kindern zeigen auch in der Gladbecker Fußgängerzone Wirkung: Die Passanten spenden für die Flutopfer. Und vertrauen darauf, dass ihr Geld ankommt - weil hier Tamilen für ihre Landsleute sammeln.

Vier Stunden nach der Welle schaltete Nadarajah Jegatheeswaran den Fernseher an. Ein Schock. Er hat zwar keine Verwandten mehr in Sri Lanka. Aber die Heimat: zerstört. Besonders die Nordostküste habe es getroffen, wo überwiegend Tamilen wohnen - wo der Bürgerkrieg besonders heftig tobte, vor dem Nadarajah Jegatheeswaran 1988 flüchtete.

Zurzeit lebt er an der Friedensstraße, arbeitet als Hausmeister im Brauhaus Kirchhellen. Und engagierte sich auch vor der Flut für die Tamilische Rehabiliationsorganisation (TRO). Sie soll das Geld und die Kleidung, die Jegatheeswaran und ein Dutzend Landsleute am Freitag in der Gladbecker Innenstadt sammeln, vor Ort verteilen. Zuvor waren die Sammler in Bottrop, Marl und Essen. Überall im Land sammeln Gruppen, koordiniert von den Büros der TRO in Düsseldorf und Wuppertal.

Spontan spendet eine junge Mutter einige Münzen: "Ich hatte es schon länger vor, wollte aber keine große Organisation unterstützen. Hier kommt vielleicht mehr an." Laut Selbstdarstellung www.tro-germany.de unterhält die TRO seit den 80er Jahren ein humanitäres Netzwerk für Tamilen in Sri Lanka: Behindertenheime etwa. Sie ist in Deutschland als gemeinnützig anerkannt, führt aber kein DZI-Spenden-Siegel.

Jegatheeswaran sagt, die Hilfe würde unterschiedslos an Tamilen und Singhalesen verteilt werden. Der Sri-Lanka-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin dagegen beurteilt die TRO skeptisch: "Es spricht einiges dafür, dass die LTTE (Anm.: Tamil Tigers, Kriegspartei) hinter der Organisation steht. Es ist immer ein Doppelspiel zwischen humanitärer und politischer Hilfe. Das ist keine Kritik, dass die Leute sammeln", aber man unterstütze wahrscheinlich einen zweifelhaften Akteur.

Auch der Experte kann nur vermuten, schränkt er selbst ein. Eine Spenderin drückt ihre Sicht so aus: "Entweder man hat Vertrauen oder nicht. Entweder man hilft oder nicht." Sie gibt etwas Münzgeld.

07.01.2005 Von Thomas Mader
Quelle - Westdeutsche zeitung - 7.1.2005

Heimliche Machtübernahme

Die Regierung in Sri Lanka nutzt die Katastrophe aus, um in die Flüchtlingscamps im Rebellengebiet vorzudringen

COLOMBO taz Während Medien, Zivilgesellschaft und Politiker fast ausnahmslos dazu aufrufen, Einigkeit in der Katastrophe zu zeigen, brach die Regierung völlig unerwartet einen neuen Konflikt vom Zaun. Auf Befehl von Präsidentin Chandrika Kumaratunga begann die sri-lankische Armee am Mittwoch, die Lager mit den Opfern zu übernehmen. Über 700.000 Menschen verloren bei der Flut nach jüngsten Schätzungen ihr Heim.

Erste Berichte über das Eindringen der Armee kamen aus Trincomalee an der Nordostküste, wo die Tamil Rehabilitation Organisation (TRO), der Ableger für Humanitäres innerhalb der Befreiungsorganisation LTTE, 18 Camps leitet. Bewaffnete Soldaten sollen erklärt haben, ab sofort sei die Armee für die Lager zuständig. Daraufhin sollen sie die Schlüssel zu den Warenlagern verlangt haben. Die TRO, die anfangs der Meinung war, die Maßnahme richte sich nur gegen sie, nicht aber gegen die Flüchtlinge, appellierte an Jayantha Dhanapala, den Friedenssekretär der Regierung, er möge die Präsidentin umstimmen.

Auch R. Sampanthan, Parlamentsabgeordneter der LTTE-nahen Partei Tamil National Alliance (TNA) richtete einen Protestbrief an die Präsidentin: "Die Menschen in diesen Zentren sind gegen diese Übernahme, und in einigen ist die Stimmung äußerst gespannt." Bei der jüngsten Sitzung der regionalen Koordinationsgruppe war noch bestätigt worden, dass sich die TRO und andere NGOs weiterhin um die Flüchtlinge kümmern sollten. Man dürfe nicht vergessen, so der Abgeordnete in seinem Schreiben, dass die Armee aus Singhalesen bestehe, und viele Tamilen die Gräueltaten dieser Soldaten nicht vergessen hätten. Er forderte dringend die Rücknahme dieses Befehls.

Lasantha Wickrematunge, der Chefredakteur der regierungskritischen Sonntagszeitung Sunday Leader, fürchtet um den Frieden: "Die LTTE wird sich fragen, wozu das Waffenstillstandsabkommen gut ist, wenn die Armee jetzt in ihre Einflussgebiete einbricht."

Aus mehreren Lagern seien Fälle sexueller Belästigung gegenüber Frauen gemeldet worden, deswegen müsse die Armee für Ordnung sorgen - so lautete eine der Erklärungen für die umstrittene Einschaltung der Armee. Doch gerade dort, wo die LTTE das Sagen hat, herrscht besondere Disziplin.

In Regierungskreisen war in den letzten Tagen die große Autonomie der LTTE-Strukturen beim Management der Katastrophenhilfe im Norden und Osten kritisiert worden. Anfang der Woche hatte eine italienische Delegation zur Empörung der sri-lankischen Regierung sogar zehn Lkw-Ladungen staatlicher Hilfe direkt in das LTTE-kontrollierte Gebiet gebracht und den Rebellen der Tamil Tigers übergeben. Alle, die die selbst verwalteten Gebiete besucht haben, lobten die Effizienz der Rebellen bei den Aufräumungsarbeiten und der Opferversorgung, während aus dem Süden immer wieder über Missbrauch, Korruption und chaotische Zustände berichtet wird. Die Präsidentin hatte auch mit Sorge beobachtet, wie die linksnationalistische JVP, der kleine Koalitionspartner, an der Südküste versuchte, die Güterverteilung zu übernehmen.

Dr. Vinya Ariaratne, einer der Leiter der Friedensorganisation Sarvodaya, bestätigte, dass alle NGOs und sogar die Religionsgemeinschaften in allen zwölf Distrikten betroffen seien. Wenn es um Ruhe und Ordnung gehe, sei die Polizei zuständig, nicht die Armee. Und S. Pulideevan, der Leiter des LTTE-Friedenssekretariats, macht sich unterdessen Sorgen, dass eine zu mächtige Armee irgendwann auf die Idee kommen könnte, selbst die Macht zu übernehmen: "Was hier gerade passiert, ist eine Vorbereitung für eine Militärdiktatur."

"RALF LEONHARD

taz Nr. 7558 vom 7.1.2005, Seite 2, 122 Zeilen (TAZ-Bericht), RALF LEONHARD

Quelle dietageszeitung - 6.1.2005

Die Helfer misstrauen sich

In Sri Lanka fällt es der Regierung und den tamilischen Rebellen nicht leicht, bei der Fluthilfe zusammenzuarbeiten

AUS COLOMBO RALF LEONHARD

"Alle Regionen werden gleichermaßen versorgt." Sri Lankas Präsidentin Chandrika Kumaratunga war bald nach der Katastrophe bemüht, als Mutter der gesamten Nation aufzutreten. Den Transporten von Hilfsgütern in die entlegenen Gebiete unter der Kontrolle der Tamil Tigers (LTTE) solle sogar Priorität eingeräumt werden. Die LTTE verwaltet seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 einen Teil des Nordens als de facto autonomes Gebiet. Zwar kontrolliert die Regierung den mehrheitlich von der tamilischen Minderheit bewohnten Nordosten und Osten, doch die LTTE hat viel Einfluss auf die tamilische Bevölkerung.

In den ersten Tagen klagten die Tamil Tigers, die Regierung vernachlässige die Tamilengebiete. Nach einem Treffen mit Regierungsvertretern am vergangenen Mittwoch wurde der Vorwurf nicht mehr öffentlich wiederholt. Man einigte sich, während der Hilfsaktionen und der Phase des Wiederaufbaus zusammenzuarbeiten. Allerdings weigerte sich die LTTE-Führung, sich in die Task Force der Regierung einzufügen. Vielmehr werde sie lokale Vertreter der Behörden in ihre Strukturen aufnehmen.

Was wie Arroganz klingt, dürfte auch mit der Wirksamkeit der eigenen Organisation begründet sein. Der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung, der seit Jahren zwischen Regierung und Rebellen vermittelt, war am Wochenende in Kilinochchi, dem Sitz der provisorischen LTTE-Verwaltung. Der Professor zeigte sich beeindruckt von der Effizienz der LTTE bei den ersten Rettungs- und Aufräumarbeiten: "Ich habe schon viele Katastrophengebiete gesehen, aber so eine Effizienz, die gleichzeitig für die Opfer nicht demütigend ist, habe ich noch nicht erlebt." Der Strand der Stadt Mulaittivu, wo die Flutwelle mit voller Wucht aufprallte, sei gereinigt: "Es liegen keine Leichen herum. Die Opfer sind in acht Lagern untergebracht und es herrschen große Ruhe und Würde." Auch Ranil Wickremesinghe, Anführer der größten Oppositionspartei UNF, glaubt an die Organisationsfähigkeit der Rebellen und plädiert dafür, sie die Hilfsgüter eigenständig verwalten zu lassen.

In den gemischten Tamilengebieten im Nordosten und Osten wurden gemischte Task Forces gebildet, in denen je ein Vertreter der Rebellen, der Regierung und der internationalen NGOs oder der Vereinten Nationen mitarbeiten. Laut dem Regierungsbeauftragten Velmurugu Shanmugam in Batticaloa funktionieren diese Einheiten tadellos. Bashir Tani, der das Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen in Batticaloa leitet, ist etwas zurückhaltender in seiner Beurteilung. Die Zusammenarbeit funktioniere eher oberflächlich: "Niemand will als Hindernis gesehen werden." Aber auf oberster Ebene traut man einander nicht über den Weg. Premierminister Mahinda Rajapakse hatte die lokale LTTE-Vertretung bei einem Besuch in Batticaloa zu einem Treffen in die Kaserne eingeladen, was diese ablehnte. Schließlich einigte man sich auf das Büro der Zivilverwaltung.

Das Planungs- und Entwicklungssekretariat der LTTE hat bereits begonnen, die materiellen Bedürfnisse für die nächste Zeit zu ermitteln. Laut S. P. Thamilchelvan, Chef des politischen Arms der LTTE, ist die Einbindung der Regierung vorgesehen.

Wie gespannt die Lage in manchen Teilen des Tamilengebietes ist, beweist ein Zwischenfall in der Ortschaft Kudathanai im Bezirk Jaffna. Dort ist am Wochenende eine Schule niedergebrannt worden. Sie hatte 67 obdachlosen Familien Zuflucht geboten. Der Konflikt soll entstanden sein, als einige der Flüchtlinge die Versorgung durch die Armee ablehnten. Soweit die Übereinstimmung. Aber die Armee und die Rebellen machen sich gegenseitig für die Tat verantwortlich.

Ein weiterer Konflikt bahnt sich an, wenn, wie angekündigt, 1.500 Marines der US-Armee ins Land kommen. 54 sind als Voraustrupp bereits gelandet. Ihre vordergründige Aufgabe soll es sein, mit ihrem Spezialgerät im Süden und im östlichen Hafen Trincomalee die Aufräumarbeiten zu übernehmen. Die Rebellen misstrauen aber den Beteuerungen der Regierung, es handle sich um eine rein zivile Mission. Der Konfliktforscher Johan Galtung vermutet, dass die US-Soldaten die Schwachpunkte der LTTE auskundschaften wollen. Schließlich stehen die Tamil Tigers in den USA auf der Liste terroristischer Organisationen.

taz Nr. 7556 vom 5.1.2005, Seite 3, 120 Zeilen (TAZ-Bericht), RALF LEONHARD

Quelle - dietageszeitung - 6.1.2005

Der brüchige Frieden in Sri Lanka

[Von ftd.de, 20:53, 06.01.05]

Die Flutkatastrophe hat die verfeindeten Volksgruppen in Sri Lanka für ein paar Tage vereint. Doch trotz internationaler Appelle flammen die Konflikte zwischen Tamilen und Singhalesen wieder auf.

Gowry Yoganathan hat einen Rechen mit an den Strand gebracht. Gemeinsam mit seiner Frau und den drei Kindern sucht der Fischer in den Trümmern seiner Hütte nach Hausrat. In den Steinhaufen, die der Tsunami im Norden von Sri Lanka zurückließ, haben sich blaue Fischernetze verfangen, es riecht nach verfaulten Kokosnüssen. Seit dem Seebeben im Indischen Ozean gibt es hier zwei Sorten von kaputten Palmen: Die von der Flutwelle entwurzelten und die, deren Kronen vor zehn Jahren von den Raketen der vorrückenden Regierungstruppen abrasiert wurden.

Gowrys Hütte lag in dem Teil des Landes, den die tamilischen Rebellen besetzt halten. "Tamil Eelam" nennen sie das Territorium im Osten und Nordosten der Insel, das sie den Regierungstruppen in einem langen Bürgerkrieg abgetrotzt haben. Die Flutwelle machte am 26. Dezember keinen Unterschied zwischen Gowrys Hütte südlich des Ortes Pallai und den Behausungen in jenem Teil der Halbinsel Jaffna, der unter Regierungskontrolle ist. Das Wasser forderte im ganzen Land innerhalb weniger Tage mehr als 30.000 Opfer. Im Krieg wurden mehr als 60.000 Tote gezählt - in einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten.

In der Bevölkerung wächst die Hoffnung
Unter den Menschen auf beiden Seiten wächst die Hoffnung, dass die verheerende Flut am Ende den schwelenden Konflikt zwischen dem Mehrheitsvolk der Singhalesen und der tamilischen Minderheit entschärfen könnte. In Jaffna erzählt man sich von Soldaten der Armee, die Rebellen aus den Fluten retteten, und Aufständischen, die Militärs halfen. "Zum ersten Mal waren die Menschen an der Südküste ebenso in Not wie die Menschen im Kriegsgebiet. Das verbindet", sagt Jehan Perera vom National Peace Council in Colombo.

Das mit der Flut wieder erwachte Interesse der internationalen Gemeinschaft an der Region könnte diese Entwicklung fördern. Am Freitag wird US-Außenminister Colin Powell in Sri Lanka erwartet, am Samstag reist Uno-Generalsekretär Kofi Annan an, am Dienstag wird Deutschlands Außenminister Joschka Fischer wird landen. Sie alle werden die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen werden beide zur Sprache bringen. "Man muss die Katastrophe nutzen, um den Konflikt zu beenden", sagte Fischer am Mittwoch. Das sei zwar keine Bedingung für die Hilfe der Bundesregierung, der Bürgerkrieg sei aber ein ernstes Hindernis für den Wiederaufbau. Es sei an der Zeit für eine "nationale Versöhnung".

Von "nationaler Versöhnung" noch weit entfernt
Davon ist Sri Lanka noch weit entfernt. Schon werden wieder Fronten aufgebaut. Die Rebellenarmee Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) beschwert sich, dass die Regierung Hilfslieferungen nicht in die von ihr kontrollierten Gebiete weiterleite. Als die italienische Regierung Hilfsgüter direkt an die Rebellen schickte, protestierte die Regierung in Colombo. In Lagern auf der Regierungsseite in Jaffna wollten tamilische Flüchtlinge keine Hilfe der nationalen Armee annehmen. Es gibt Berichte, wonach die nationale Armee den Rebellen den Weitertransport von Hilfsgütern in die von ihnen kontrollierten Gebiete verweigerte.

Der Weg aus Jaffna ins Rebellenland ist gesäumt von Erinnerungen an die blutigen Kämpfe früherer Jahre. Hinter der Stadtgrenze liegt das Gräberfeld von Chemmanai, wo mehr als 600 Menschen getötet wurden. Das war 1995, als die sri-lankische Armee den größten Teil der Halbinsel zurückeroberte. Damals verloren die Krabbenfischer von Jaffna ihre Existenz. Von der Fabrik, in der der Fang gekühlt und verarbeitet wurde, steht nur noch eine Ruine. Heute wirft hier kaum jemand sein Netz aus, das Gebiet ist Hochsicherheitszone. An den Checkpoints inspizieren erst Soldaten der Regierung den Wagen, nach einer kurzen Fahrt durchs Niemandsland klemmen die Rebellen ein gelbes Plastikschild hinter die Windschutzscheibe der Einreisenden. "Unsere Gäste. Bitte gewähren Sie freies Geleit", steht darauf.

"Die LTTE haben die Hilfe erstaunlich gut organisiert"
Ab hier hat die Regierung von Sri Lanka nichts zu sagen, hier gelten auch nach der Flutkatastrophe die Regeln der Rebellen. Die LTTE haben hier die Toten und Verletzten geborgen, die LTTE haben die Lager für die Obdachlosen errichtet, die LTTE koordinieren die Verteilung der Hilfsgüter.

Die Rebellen nutzen ihren militärischen Apparat jetzt, um Leben zu retten, statt sie zu vernichten. Sie gelten als eine der grausamsten, aber auch als eine der diszipliniertesten Aufständischenarmeen der Welt, was ihnen nun zugute kommt. "Die LTTE haben die Hilfe erstaunlich gut organisiert", sagt Martin Baumann, der für die Deutsche Welthungerhilfe ein Projekt nahe der fast völlig zerstörten Stadt Mullaitivu im Rebellengebiet leitet. "Das liegt an der straffen Struktur."

Der Aufbau von Flüchtlingslagern ist in den Tamilengebieten sowieso Routine - da ist es egal, ob die Menschen vor dem Krieg oder vor dem Wasser fliehen. "Zentren für die vorübergehende Unterbringung" werden die Auffanglager für die Flutopfer genannt - als Unterscheidung zu den 80 "Wohlfahrtszentren", in denen bereits zuvor Flüchtlinge untergebracht wurden. Auch der Fischer Gowry wurde 1995 schon einmal umgesiedelt, als sein Heimatdorf Maruthankerny zur Kampfzone wurde. Doch noch nie mussten die Bewohner des Ortes so leiden wie jetzt. Etwa ein Drittel der 1000 Dorfbewohner kam in den Fluten ums Leben, die übrigen sind obdachlos. Insgesamt verloren auf der Halbinsel Jaffna 48.000 Menschen ihr Zuhause - ein Zehntel der Gesamtbevölkerung.

Naturkatastrophe statt Krieg
Schwestern des katholischen Karmeliterordens fahren von Lager zu Lager, helfen Kindern, ihre Erlebnisse aufzumalen, stehen weinenden Müttern bei und bringen Fischern Atemübungen bei, um ihnen die Angst vor der Rückkehr ans Meer zu nehmen. Mit traumatischen Erfahrungen gibt es im Kriegsgebiet mehr Erfahrung als in anderen Landesteilen. Doch selbst die Schwestern sind überfordert angesichts des Ausmaßes der Katastrophe. "Im Krieg weiß man, dass die Truppen kommen. Dann kann man wegrennen", sagt Schwester Roshanti. "Die Welle hat ohne Vorwarnung in wenigen Minuten ganze Existenzen zerstört."

Ausländische Organisationen in den Tamilen-Gebieten waren besser vorbereitet auf die Katastrophe als Helfer an der friedlichen Südküste. Die Lager waren im Dezember voll mit Vorräten, die sofort verteilt werden konnten. "Wir hatten vor Weihnachten eher einen neuen Krieg erwartet als eine Naturkatastrophe", sagen die Mitarbeiter internationaler Hilfseinrichtungen in Jaffna.

Labiles Kräftegleichgewicht hat sich verschoben
Initiativen wie die von den skandinavischen Regierungen finanzierte Sri Lanka Monitoring Mission, die die Einhaltung des Waffenstillstands aus dem Jahr 2002 überwacht, erhalten durch die Flutkatastrophe neue Aufmerksamkeit. Die Organisation engagiert sich als Streitschlichter. "Sobald ein solcher Konflikt auftritt, rufen wir die Parteien an einen Tisch. Die meisten Zwischenfälle konnten wir auf diese Weise lösen", sagt die Sprecherin der Mission.

Beobachter fürchten, dass die Naturkatastrophe den Konflikt zunächst verschärfen könnte, weil sich das labile Kräftegleichgewicht verschoben hat. "Die LTTE sind durch den Tsunami schwächer geworden", sagt Jehan Perera vom National Peace Council. Es gibt Gerüchte, wonach die LTTE einen Großteil ihrer Marine im Hafen von Mullaitivu verloren haben - was die Rebellenorganisation freilich bestreitet. Dass die Regierung entlang der Küste auf der Halbinsel Jaffna ebenfalls viele Schiffe eingebüßt hat, kann den Verlust nicht ausgleichen.

Sehnsucht nach dem Alltag
Während Diplomaten in aller Welt überlegen, wie aus der Not der Flutkatastrophe die Tugend eines Friedensschlusses werden könnte, sehnen sich die Menschen in der Region um Pallai nach ihrem Alltag zurück - auch wenn es ein bitterer Alltag ist. In diesen Tagen werden die Menschen aus den örtlichen Schulen in Zeltlager an der Küste verlegt, damit die Kinder ab Montag wieder den Unterricht besuchen können.

Der Fischer Gowry will sein Haus wieder aufbauen - und braucht ein neues Netz. Er hat keine Zeit, darüber nachzudenken, ob der Krieg zurückkommt oder nicht: "Und wenn er doch kommt, können wir sowieso nichts machen."

Chronik des Konfliktes
Widerstand 1976 gründen aufständische Tamilen die "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE). Sie kämpfen für die Unabhängigkeit der hinduistischen Tamilen im Nordosten Sri Lankas von der buddhistischen singhalesischen Mehrheit. Seit 1950 wird die tamilische Bevölkerung systematisch benachteiligt.

Eskalation Im Nordosten entwickeln sich 1983 bewaffnete Auseinandersetzungen zum Bürgerkrieg. Erste Friedensgespräche scheitern. Indien sendet Friedenstruppen. Nach ihrem Abzug 1990 eskaliert der Krieg. Präsident Ranasinghe Premadasa stirbt bei einem LTTE-Angriff.

Scheitern Die neue Präsidentin Chandrika Kumaratunga verspricht Frieden, scheitert Mitte der 90er aber an Verhandlungen mit den Separatisten. Die LTTE nehmen Bombenattentate wieder auf, auch in der Hauptstadt Colombo.

Hoffnung 2002 vereinbaren beide Seiten einen Waffenstillstand. Friedensgespräche beginnen in Berlin. Eine LTTE-Splittergruppe geht 2004 in den Untergrund. Ein Selbstmordattentat im Juli des Jahres bedroht den brüchigen Frieden.

Mitarbeit: Benjamin Dierks
Quelle - http://www.capital.de/

Die Flutwelle vereint und teilt Sri Lanka

Tamilen und Singhalesen bewältigen Katastrophe gemeinsam / Politische Annäherung lässt aber weiter auf sich warten

Von DEBORAH PASMANTIER

Kilinochchi. Als am Morgen des 26. Dezember die Flut Sri Lanka erreichte, machte das wütende Wasser keinen Unterschied zwischen Tamilen und Singhalesen. Das von den tamilischen Befreiungstigern (LTTE) kontrollierte nordöstliche Drittel der Insel leidet seitdem ebenso wie das von der Regierungsarmee beherrschte Areal unter den Folgen der Jahrhundertflut - doch zu einer wirklichen Annäherung zwischen beiden Landesteilen auf der politischen Ebene hat die Katastrophe bislang nicht geführt. Das gemeinsame Schicksal angesichts der insgesamt mehr als 30000 Toten auf der Insel scheint die Konfliktparteien ebenso zu einen wie der aufkommende Streit um die Verteilung der Hilfsgüter sie trennt.

In den singhalesisch-tamilischen Beziehungen gilt seit der Flut so etwas wie ein Moratorium - die Spannungen nehmen zumindest nicht weiter zu. Doch der im Februar 2002 nach 30 Jahren Bürgerkrieg ausgehandelte Waffenstillstand ist alles andere als gewiss. Die im April 2003 abgebrochenen Friedensgespräche unter norwegischer Vermittlung haben bislang wenig Aussicht auf Wiederaufnahme.

Zumindest zwingen die Folgen der Flut beide Seiten zu einem Mindestmaß an Zusammenarbeit auf örtlicher Ebene. In den von der Armee kontrollierten Tamilengebieten suchen Soldaten und LTTE-Kämpfer ohne Ansehen der ethnischen Zugehörigkeit gemeinsam nach Überlebenden und Toten. "Manchmal findet die LTTE Leichen von Singhalesen, die sie den Soldaten übergibt. Es gibt manchen Austausch", sagt Thaya Masta, der Chef der Öffentlichkeitsarbeit des politischen LTTE-Flügels in der Rebellen-"Hauptstadt" Kilinochchi im Norden des Landes.

In allen Tamilenbezirken - gleich unter welcher Kontrolle - haben die Rebellen spezielle Einsatztruppen aufgestellt, welche die Verteilung der Hilfe koordinieren sollen. Dabei arbeiten auf Ebene der Bezirksverwaltungen Vertreter aus Colombo, LTTE-Kräfte und Hilfsorganisationen Seite an Seite. In der Rebellenzone arbeitet auch der Regierungsbeamte K. Shvaran, der die Angelegenheit von der praktischen Seite sieht: "Das hier ist ihr Gebiet, also stimmen wir uns automatisch ab."

Schwieriger gestaltet sich die Kooperation zwischen den übergeordneten Verantwortlichen. Vergangene Woche rief Sri Lankas Präsidentin Chandrika Kumaratunga zu einer inselweiten Koordinierung der Hilfsbemühungen unter Einbezug aller Parteien auf und mahnte das Land zur Einigkeit. Der politische Rebellenführer S.P. Thamilselvan antwortete eher zurückhaltend, die LTTE habe bereits Vorschläge zur Zusammenarbeit auf den Tisch gelegt. Wenn die "Absichten in Handeln übertragen" würden, könne es einen "positiven Schritt in Richtung Vertrauensbildung" geben. Zugleich aber zweifelt Thamilselvan aber unverblümt an den "ernsten Absichten" der Präsidentin.

Seither prägen die Spannungen über die Verteilung internationaler Hilfsleistungen wieder den Dialog. Jede Seite verdächtigt die andere, die Lieferungen in eigenen finanziellen und politischen Profit ummünzen zu wollen. Die Regierung wirft der LTTE vor, nicht wirklich eine Zusammenarbeit anzustreben und die internationale Hilfe in den eigenen Gebieten selbst kontrollieren zu wollen. Das bestreiten die Rebellen postwendend und zitieren Berichte, wonach ausgerechnet die Armee in den östlichen Tamilenstädten Trincomalee, Ampara und Batticaloa Hilfsgüter beschlagnahme, anstatt sie an Bedürftige zu verteilen.

Für Rätselraten sorgt nach wie vor auch der Brand eines Lagers für Flut-Flüchtlinge in den Tamilengebieten am vergangenen Sonntag. Unstrittig ist nur das Ereignis selbst. Colombo legt nahe, die LTTE habe das Lager abgebrannt, um die Bewohner für die Annahme singhalesischer Hilfe zu bestrafen. Die Rebellen nennen das "eine Lüge". Die Regierung stelle vielmehr keine ausreichende Unterstützung für die tamilischen Gebiete bereit und brauche zu lange, um Zusagen umzusetzen. Derartige "Propaganda" der Regierung sei Teil eines "strategischen Plans, der in den Köpfen der internationalen Spender Verwirrung stiften soll" zum Nachteil der Tamilen, befindet LTTE-Politchef Thamilselvan. (afp)

Quelle - saar-echo
Die Zeitung für das Saarland