06 April 2004

Machtwechsel in Sri Lanka

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Sri Lanka hat die Partei von Präsidentin Chandrika Kumaratunga überraschend klar gewonnen. Die linksgerichtete Vereinte Volksfreiheitsallianz (UPFA) errang laut dem von der staatlichen Wahlkommission verkündeten offiziellen Endergebnis 105 der 225 Sitze im Parlament für sich. Damit verfehlte sie allerdings die absolute Mehrheit von 113 Sitzen.

Präsidentin-Konkurrent auf Platz zwei

Auf Platz zwei kam das Bündnis von Kumaratungas Rivalen, Ministerpräsident Ranil Wickramasinghe: die Vereinte Nationale Front (UNF). Sie erreichte nach 82 Sitze und verlor damit deutlich. Derzeit hat sie 114 Sitze im Parlament. Die UNF hofft auf die Unterstützung der tamilischen Nationalallianz TNA. Sie wurde mit 22 Sitzen drittstärkste Kraft und wird ihrerseits von den Rebellen der "Befreitungstiger von Tamil Eelam" (LTTE) gefördert.

Die "Befreiungstiger" hatten 20 Jahre lang um einen eigenen Staat für die tamilische Minderheit gekämpft und nun größtmögliche Autonomie gefordert. Kumaratunga tritt für einen härteren Kurs gegenüber den Rebellen ein, hat allerdings auch ihren Willen zur Wiederaufnahme der Friedensgespräche betont.

Noch vor der Bekanntgabe der Endergebnisse begannen Verhandlungen über mögliche Koalitionen. UPFA erwägt eine Zusammenarbeit unter anderem mit der Partei buddhistischer Mönche, die mit neun Sitzen überraschend auf dem vierten Platz landete. Sie steht dem Friedensprozess mit den Rebellen der "Befreiungstiger von Tamil Eelam" (LTTE) kritisch gegenüber.

Wegen Unregelmäßigkeiten in zwei Wahlregionen war die Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses verschoben worden. Die Wahlkommission befand jedoch nach einer Prüfung, dass die Wahl nicht wiederholt werden muss.

Unklarheit über Besetzung des Regierungschef-Postens

Noch ist unklar, wer Wickramasinghe als Regierungschef ablösen könnte. Kumaratunga selber bleibt zunächst Präsidentin. Einen Spitzenkandidaten hatte ihr Bündnis nicht aufgestellt. Zwischen Kumaratunga und Wickramasinghe schwelt seit Jahren ein Machtkampf.

Quelle: tagesschau.de - 3.4.2004

Das gefährliche Spiel mit dem Frieden

Sri Lanka wählt heute ein neues Parlament
Willi Germund

COLOMBO, 1. April.
Der Assistent von Kommandeur Karuna, irgendwo im Busch rund um Sri Lankas Stadt Batticaloa unterwegs, entschuldigt sich am Mobiltelefon: "Es tut uns Leid, aber die Lage muss sich erst wieder stabilisieren. Vielleicht ist nach den Wahlen ein Besuch bei uns möglich." Fünf Monate nach Beginn der Staatskrise in Sri Lanka wählen die Bewohner des südasiatischen Inselstaates an diesem Freitag ein neues Parlament.

Oberst Karuna, bis zum 3. März als Chef der "Landstreitkräfte" der Tamilenbewegung LTTE einer der mächtigsten Männer der Rebellen, fürchtet seine ehemaligen Mitstreiter und ist untergetaucht. LTTE-Chef Prabhakaran, der seit 1983 alle Widersacher ruchlos beseitigte, hat am Freitag den Befehl ausgegeben, Karuna auszuschalten, weil er sich samt einiger Tausend Kämpfer von der LTTE trennte.

Sri Lankas Streitkräfte glauben, bereits erste Pläne der LTTE-Führung, den abtrünnigen Kommandeur zu beseitigen, durchkreuzt zu haben. Sie wollen eine Gruppe von rund 100 Mitgliedern der LTTE-Kompanie Anthony abgefangen haben, die vom Norden Richtung Batticaloa unterwegs waren.

"Die sind genau wie wir", wundert sich in Sri Lankas Hauptstadt Colombo ein singhalesischer Beobachter. Historisch scheiterten alle Versuche, die rund drei Millionen hinduistischen Tamilen und etwa 18 Millionen buddhistischen Singhalesen auszusöhnen, am politischen Streit in der Elite der Bevölkerungsmehrheit. Nun verschärft der tamilische Bruderzwist zwischen LTTE-Chef Prabhakaran und seinem abtrünnigen Kommandeur Karuna die Krise auf der Tropeninsel.

Staatspräsidentin Chandrika Kumaratunga entmachtete im November die Regierung ihres politischen Widersachers Premierminister Ranil Wickramasinghe und löste das Parlament auf. Am heutigen Freitag sollen Sri Lankas Wähler nun für Klärung beim Machtkampf zwischen Premierminister und Präsidentin sorgen. Doch das Ergebnis wird wahrscheinlich anders ausfallen: Weder die Präsidentin noch der Premierminister dürften als Sieger aus den Wahlen hervorgehen, sondern ultranationalistische singhalesische Parteien, die den Frieden mit der LTTE ablehnen sowie die TNA, eine von der LTTE abhängige Tamilenpartei.

Meinungsumfragen suggerieren freilich, dass viele Singhalesen gut zwei Jahre nach Beginn der Feuerpause bereits den blutigen Bürgerkrieg mit seinen 66 000 Toten vergessen haben - und die Verzweiflung, mit der sie versuchten, ihre Kinder vor dem Wehrdienst zu retten. Stattdessen empört sich vor allem die Landbevölkerung über die Verteuerung der Lebenshaltungskosten. "Ranil Wickramasinghe und seine Leute haben sich in den Büros in der Hauptstadt vergraben und der Landbevölkerung die Friedensdividende vorenthalten", beschreibt Perera die Gründe für den wahrscheinlichen Niedergang des Premierministers.

Kumaratungas Freiheitsallianz (UPFA) hofft deshalb auf einen Sieg. Doch ihre Hoffnung auf eine Mehrheit steht und fällt mit dem Abschneiden der ehemaligen kommunistischen Guerillabewegung JVP im Süden des Landes.

Und dann gibt es noch die neue Partei Hela Urumaya. Es ist die Partei der Bikkhus, wie die nationalistischen buddhistischen Mönche in Sri Lanka genannt werden. Sie wollen einen Kirchenstaat, "um Korruption und Misswirtschaft" auszurotten. Wie die Praxis aussieht, ist im Stadtteil Kattherama von Colombo zu sehen. Dort hat der Bikkhu von Kattherama eine kleine Moschee niederbrennen lassen, weil die Moslems des Stadtviertels mit Behördengenehmigung ein zusätzliches Stockwerk bauen wollten, in dem Kinder unterrichtet werden sollten.

- Willi Germund -
Quelle - Berlin Online - 2.4.2004

Wahlausgang im November ist offen

Krieg im Ferienparadies ist noch nicht vorbei - Angst vor neuem Blutvergießen
VON Can Merey, 30.03.04, 09:55h


Neu Delhi/Colombo/dpa. Der Krieg im Ferienparadies ist noch nicht vorbei, die Ruhe in Sri Lanka könnte trügerisch sein. Am Freitag wählen die Bewohner des südasiatischen Inselstaates ein neues Parlament. Der als offen geltende Wahlausgang dürfte entscheidenden Einfluss auf den seit Monaten unterbrochenen Friedensprozess zwischen der Regierung und den Tamilen-Rebellen der LTTE haben. Doch die «Befreiungstiger von Tamil Eelam» (LTTE) sind inzwischen ebenso gespalten wie die Führung Sri Lankas. Die Angst ist groß, dass die Gewalt wieder aufflammen könnte - die in dem 20-jährigen Konflikt fast 70 000 Menschen das Leben kostete.
Die Wahl soll ein Ende der seit November schwelenden Staatskrise herbeiführen, die den Friedensprozess jäh unterbrach. Während einer USA-Reise von Ministerpräsident Ranil Wickramasinghe hatte dessen Erzrivalin, Präsidentin Chandrika Kumaratunga, die Kontrolle über drei Schlüsselministerien übernommen. Im Februar löste sie das Parlament auf und ordnete die jetzt um vier Jahre vorgezogenen Neuwahlen an. Die LTTE, die einst für einen eigenen Staat der tamilischen Minderheit kämpfte und nun weitgehende Autonomie fordert, nannte das einen schweren Rückschlag für den Friedensprozess.

Doch die «Tiger» sprechen inzwischen kaum mehr mit einer Stimme. Ein bis Anfang März loyaler Rebellen-Kommandeur im Osten der Insel, der sich Karuna nennt, brach offen mit der LTTE-Führung und fordert separate Verhandlungen. Erfolg ist ihm bislang nicht beschieden, doch Karuna steckt nicht zurück. In Gesprächen mit internationalen Medien warnt er, LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran wolle ihn ermorden lassen - Prabhakaran ist dafür bekannt, mit Gegnern kurzen Prozess zu machen. Neues Blutvergießen dürfte die Folge sein.

Die Präsidentin fordert einen härteren Kurs gegen die «Befreiungstiger» als ihn Wickramasinghe verfolgte. Beide bekräftigen allerdings in ähnlichen Worten ihren Friedenswillen. «Bald nach unserer Wiederwahl im April werden wir die Friedensgespräche wieder aufnehmen», sagt der Noch-Ministerpräsident. «Wir werden am Waffenstillstand festhalten und Gespräche mit der LTTE aufnehmen», sagt Kumaratunga. Ihre Zwölf-Parteien-Allianz nennt dafür allerdings «vernünftige Bedingungen» als Voraussetzung.

Wickramasinghe wurde dafür gefeiert, dass er nach seiner Wahl im Dezember 2001 Friedensgespräche mit der LTTE begann und die Rebellen dazu brachte, einem - wenn auch brüchigen - Waffenstillstand zuzustimmen. Sri Lanka, das zeitweise fast ein Viertel seines Haushalts für das Militär ausgab, konnte aufatmen. Dem Regierungschef gelang es, der internationalen Gemeinschaft Hilfszusagen von 4,5 Milliarden US-Dollar abzuringen. Kumaratunga, die bei einem LTTE- Anschlag 1994 ein Auge verlor, warf ihrem Widersacher allerdings vor, die Rebellen zu stärken.

Vor der Wahl holte die gewalterprobte Präsidentin, bei politischen Partnern nicht zimperlich, erklärte Gegner des Friedensprozesses mit ins Boot. Die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) ist Teil ihrer Wahlallianz, obwohl Anhänger der marxistischen Partei 1988 Kumaratungas Ehemann ermordet haben sollen. Ob Kumaratunga das hilft, wird sich am Freitag zeigen. Weder ihrer Vereinten Volksfreiheitsallianz noch Wickramasinghes Vereinter Nationalen Front wird eine absolute Mehrheit vorhergesagt. Echter Frieden in Sri Lanka dürfte - wenn überhaupt - in weiter Ferne liegen.

VON Can Merey, 30.03.04, 09:55h
Quelle - Mitteldeutsche Zeitung

Wahl von Mord an tamilischem Kandidaten überschattet

Sri Lanka: Wahl von Mord an tamilischem Kandidaten überschattet
Machtkampf zwischen Präsidentin und Ministerpräsident
- Zwei Polizisten pro Wahlurne - mit Inforgrafik

Colombo - In Sri Lanka herrscht vor der Parlamentswahl am Freitag eine gespannte Atmosphäre. Soldaten patrouillierten am Mittwoch durch die Straßen von Batticaloa, in denen am Vortag ein Kandidat der Tamilischen Nationalen Allianz ermordet worden war. Das Opfer war ein Anhänger des abtrünnigen Rebellen-Kommandanten Vinayagamoorthy Muralitharan. Den tamilischen Parteien könnte eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung zukommen, wenn wie erwartet keiner der großen politischen Blöcke bei der Wahl eine Mehrheit erzielt.

Drei Jahrzehnte Bürgerkrieg
Dem Inselstaat im Indischen Ozean, in dem mehr als drei Jahrzehnte lang ein blutiger Bürgerkrieg tobte, droht anlässlich des Urnengangs möglicherweise eine neue Eskalation der Gewalt. Zur angespannten Lage tragen nicht zuletzt die Umstände bei, unter denen die Wahl überhaupt notwendig wurde: Im erbitterten Machtkampf mit Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe löste Präsidentin Chandrika Kumaratunga Anfang Februar das Parlament auf - fast vier Jahre vor Ablauf der Legislaturperiode. Bereits im November hatte sie drei Minister ihrer Aufgaben entbunden.

Kern des Konflikts ist der stockende Friedensprozess zwischen der Regierung und den tamilischen Rebellen. Erstmals stellen sich im Feld der 6024 Kandidaten auch Bewerber zur Wahl, die den Rebellenverbänden der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) nahestehen. Sie könnten im knappen Rennen zwischen Kumaratungas linksgerichteter Freiheitsallianz (FA) und Wickremesinghes konservativer Vereinigter Nationalpartei (UNP) das Zünglein an der Waage sein, wenn die knapp 12,9 Millionen Wahlberechtigten zur Stimmabgabe aufgerufen sind. Beobachter halten es für möglich, dass Tamilen 15 bis 18 Mandate im 225-Sitze-Parlament erreichen könnten.

Autonomes tamilisches Gebiet
Die LTTE kämpft für ein politisch autonomes tamilisches Gebiet im Nordosten der Insel. In der Praxis ist das Gebiet im nördlichen Drittel des Landes bereits weitgehend unabhängig: Tamilische Polizisten tragen eigene Uniformen, es gilt eine sogar eigene Zeitzone - die Uhren ticken dort dem Rest der Insel eine halbe Stunde hinterher.

Die Tamilische Nationale Allianz steckt jedoch seit der Spaltung der Rebellenbewegung Anfang März in der Krise. Mehrere ihrer Kandidaten in Batticaloa beklagten, sie seien aufgefordert worden, Muralitharan nicht zu unterstützen, und hätten Morddrohungen erhalten. Wenige Tage vor dem Attentat hatten die tamilischen Rebellen angedeutet, Muralitharan zu töten.

"Tiger müssen Probleme lösen
Wickremesinghes Vereinte Nationale Front setzte schon im vergangenen Wahlkampf auf Friedensverhandlungen mit den Rebellen und errang im Dezember 2001 die Mehrheit im Parlament. Der Regierungschef unterzeichnete im Februar 2002 unter der Vermittlung Norwegens einen Waffenstillstand mit den LTTE. Doch die Friedensverhandlungen scheiterten. Kaum jemand rechnet damit, dass nach der Wahl entscheidende Schritte zur Einigung zwischen Staat und Rebellen erzielt werden. "Zunächst müssen die Tiger ihre Probleme untereinander lösen", gibt ein norwegischer Diplomat zu bedenken.

"Die Tiger rechnen sich mit der Wahl Vorteile aus und rufen zum ersten Mal nicht zum Boykott auf", sagt der Wahlbeobachter und Friedensaktivist Jehan Perera. Perera ist einer von über 25.000 srilankischen Wahlbeobachtern, die von 300 internationalen Beobachtern verstärkt werden, unter ihnen eine Delegation der EU. Hinzu kommen rund 64.000 Sicherheitskräfte. An jeder der mehr als 10.400 Wahlurnen im ganzen Land werden zwei Polizisten wachen. Bereits im Vorfeld der Wahl verzeichneten private Beobachter fünf Morde - allerdings ein Vielfaches weniger als in früheren Wahlkämpfen.

Quelle - http://derstandard.at - 29.3.2004

Wenn die Befreier zu Unterdrückern werden

25. März 2004, 02:05, Neue Zürcher Zeitung

Kasten: Kindersoldaten - ein trauriges Kapitel

Wenn die Befreier zu Unterdrückern werden
Schwieriger Alltag im Norden und Osten Sri Lankas
Zwei Jahre nach dem Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) sind die Spuren des Bürgerkrieges im Norden und Osten Sri Lankas noch allgegenwärtig. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört, die Felder sind noch immer vermint. Darüber hinaus stellt die autoritäre Herrschaft der LTTE nicht nur für die Muslime, sondern auch für viele Tamilen ein Problem dar.


spl. Batticaloa, im Februar

Zwei Jahre nach dem Waffenstillstand zwischen der Regierung und den tamilischen Rebellen sind die Wunden des 20-jährigen Bürgerkriegs im Norden und Osten Sri Lankas noch lange nicht vernarbt. Wer aus der Hauptstadt Colombo nach Jaffna fliegt, glaubt sich in einer anderen Welt. Das Gefälle zwischen dem relativ wohlhabenden Süden und dem kriegsversehrten Norden ist frappant. Verglichen mit anderen südasiatischen Staaten schneidet Sri Lanka in Statistiken überdurchschnittlich gut ab. Die Lebenserwartung liegt bei 73 Jahren, die Kindersterblichkeit beträgt ganze 1,9 Prozent, die Analphabetenrate 8 Prozent. Im Nordosten herrschen allerdings andere Verhältnisse. Die Sterberate bei Müttern im Kindbett liegt hier fast doppelt so hoch wie im landesweiten Durchschnitt, und während im Süden heute jedes Kind die Schule besucht, gehen laut einer Studie des Uno-Kinderhilfswerks Unicef im Nordosten 50 000 Kinder nicht zum Unterricht, weil ihre Schulen zerstört sind oder es an Lehrpersonal mangelt.

Entvölkerte Landstriche
Wir fahren über den sogenannten Elefantenpass, eine schmale Landzunge, die Jaffna mit dem Rest der Insel verbindet. Während des Krieges war dies eines der am härtesten umkämpften Gebiete, weil sich hier entschied, wer die Kontrolle über Jaffna hatte. Die ansässige tamilische Bevölkerung wurde fast vollständig vertrieben. Schätzungsweise 800 000 Menschen sind im Laufe des Krieges insgesamt geflüchtet - in den Süden und Westen des Landes, ins benachbarte Indien oder ins Exil ins fernere Ausland. 450 000 Vertriebene sind bis heute nicht in ihre Dörfer zurückgekehrt. Die Gegend rund um den Elefantenpass ist menschenleer. Die Zerstörungen des Krieges sind unübersehbar: ausgebrannte Schulhäuser, Spitäler und Verwaltungsgebäude. Auch von den Wohnhäusern sind oft nur Ruinen übrig. Zudem ist das Gebiet immer noch stark vermint. Von Jaffna bis Vavuniya sind die roten Schilder am Strassenrand, die auf die Minengefahr hinweisen, ständige Begleiter. Zwar sind mittlerweile mehrere ausländische Organisationen mit der Beseitigung der heimtückischen Sprengkörper beschäftigt, doch es wird wohl noch sehr lange dauern, bis sich die Menschen hier wieder frei bewegen und die Felder bewirtschaften können.

Die A 9, die wichtigste Verbindungsstrasse zwischen Jaffna und dem Süden, ist seit dem Waffenstillstand im Februar 2002 wieder für Zivilisten geöffnet, und es ist reger Verkehr zu verzeichnen. Einzig Strassenbauarbeiter behindern alle paar Kilometer noch die Fahrt. Zumindest in diesem Bereich scheint der Wiederaufbau schnell voranzuschreiten; ein grosser Teil der A 9 ist bereits frisch geteert.

Ein Staat im Staat
Zwischen Jaffna und der alten Königsstadt Anuradhapura liegt das von den Liberation Tigers of Tamil Eelam kontrollierte Vanni. Die Friedensgespräche sind seit vergangenem April zwar eingefroren, und es ist äusserst umstritten, wie weit die Autonomie der tamilischen Gebiete zukünftig gehen soll. Auch ohne eine Interimsverfassung üben die Tigers im Vanni und in Teilen des Ostens aber faktisch bereits staatliche Funktionen aus - mit eigener Verwaltung, Polizei, Armee, Justiz und Steuerhoheit.

Kilinochchi, das sagenumwobene Dschungelhauptquartier der LTTE, ist de facto nicht viel mehr als ein kleines Nest im Niemandsland. Im Gegensatz zu den Dörfern auf dem Weg ist hier jedoch Geschäftigkeit und Aufbruchstimmung auszumachen. Überall wird gebaut - und schnell wird klar, für wen. Jeder, der zur Führungsriege der Tigers zählt, hat hier ein Büro. Auch sämtliche LTTE-Unterorganisationen, wie die Tamils Rehabilitation Organisation oder das Subcommittee on Gender Issues, haben in einem der neu errichteten Gebäude eine Vertretung. Daneben sind zahlreiche internationale Hilfsorganisationen präsent.

Ausländische Gäste werden in Kilinochchi gerne empfangen und nicht selten dazu instrumentalisiert, den LTTE - die in vielen Ländern noch als terroristische Organisation verboten sind - einen Hauch internationaler Legitimation zu verleihen. In einem Gästehaus der Rebellen treffen wir Sudha Master zum Lunch, den Stellvertreter des Chefs des politischen Flügels der Befreiungstiger, Thamilselvan. In der Eingangshalle hängen über einem riesigen Aquarium zwei überlebensgrosse Porträts Prabhakarans. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass der allmächtige «Leader» auf uns herunterblickt. Der Rebellenchef, der aus Sicherheitsgründen kaum je in der Öffentlichkeit auftritt, ist in Kilinochchi allgegenwärtig.

Keine demokratische Legitimation
Die Tamilen seien enttäuscht, dass seit dem Waffenstillstand so wenig erreicht worden sei, erklärt Sudha Master. Die wichtigste Aufgabe sei die Wiederansiedlung der Vertriebenen, doch die Infrastruktur sei vollkommen zerstört. Wenn die Regierung wolle, dass die Flüchtlinge in ihre Dörfer zurückkehrten, müsse sie eine Basisversorgung gewährleisten. Wie alle Gesprächspartner in Kilinochchi betont Sudha Master, die Tamilen hätten mehr finanzielle Unterstützung aus Colombo nötig. Es sei inakzeptabel, dass allen Distrikten des Landes dieselben Mittel zur Verfügung stünden, obwohl der Norden nach dem Krieg vor unvergleichlich grössere Herausforderungen gestellt sei. Bis heute komme fast die gesamte Wiederaufbauhilfe von ausländischen Hilfsorganisationen.

Sowohl die Regierung als auch ausländische Geldgeber sind freilich mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert, dass es auf tamilischer Seite keinen demokratisch legitimierten Gesprächspartner gibt. Die Tamilen wurden nach der Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 von der singhalesischen Mehrheit als Bürger zweiter Klasse behandelt. Mit den Jahren radikalisierte sich der Widerstand gegen die Unterdrückungspolitik Colombos. Als die für einen unabhängigen tamilischen Staat kämpfenden LTTE bei einem Hinterhalt in Jaffna im Juli 1983 13 Soldaten töteten, folgte eine wahre Gewaltorgie. Im ganzen Land gingen Singhalesen gegen Tamilen vor. Sri Lanka versank in einem Bürgerkrieg, der über 65 000 Todesopfer forderte. Nach Ansicht der meisten Tamilen haben die Befreiungstiger der tamilischen Minderheit durch ihren Widerstandskampf Respekt verschafft. Gleichwohl ist zu bezweifeln, dass die LTTE freie Wahlen im Nordosten heute noch gewinnen würden. Denn die Befreier sind vielerorts zu neuen Unterdrückern geworden. Überall, wo wir hinkommen, beklagen sich die Menschen über das autoritäre Regime der Tigers, doch keiner wagt, öffentlich Kritik zu üben. Die Angst vor den Konsequenzen ist viel zu gross.

In den Jahren des bewaffneten Widerstandes haben sich die LTTE zu einer straff geführten militärischen Organisation entwickelt, die mit Begriffen wie Demokratie und Pluralismus wenig anfangen kann. Andersdenkende aus den eigenen Reihen werden kaltblütig beseitigt. Ausserdem verhindert das rigide Steuerregime der Tigers jeden wirtschaftlichen Aufschwung in der Region. Sämtliche in LTTE-kontrollierte Gebiete eingeführten Güter - selbst Material von Hilfsorganisationen - werden mit einer unverhältnismässig hohen Steuer belegt. Entwicklungshelfer äussern sich entsprechend frustriert über die Politik der Tigers. Es sei sehr schwierig, unter den gegebenen Bedingungen Hilfe zu leisten. Die Schweizer Hilfsorganisation Terre des hommes hat bereits ein Latrinenbauprojekt aufgegeben, weil die sanitären Anlagen wegen der Steuern viel zu teuer wurden. Der schwerwiegendste Verstoss der LTTE gegen das Waffenstillstandsabkommen stellt aber sicherlich die Tatsache dar, dass weiter Kindersoldaten rekrutiert werden (siehe Kasten).

Auf die Gefahr einer Diktatur im Nordosten angesprochen, wiegelt Sudha Master ab. «Für Prabhakaran sind der Sozialismus und die Gleichheit aller Individuen sehr wichtig», erklärt er. Der Widerstandskampf habe Disziplin und Einheit vorausgesetzt. Sobald die Tamilen aber das Recht zur Selbstverwaltung erhielten, würden sich die LTTE in eine demokratische Organisation verwandeln. Auch der katholische Bischof von Batticaloa, Kingsley Swampillai, ist überzeugt, dass eine solche Wandlung möglich ist. Demokratie komme nicht über Nacht, argumentiert er wie viele Sympathisanten der LTTE. Diese würden nur etwas Zeit brauchen, sich von einer Militärorganisation in eine politische Partei zu verwandeln. Man möchte dem Bischof gerne glauben, auch wenn die Realität eher pessimistisch stimmt.

Ein ethnischer Flickenteppich
Auf dem Weg von Anuradhapura nach Batticaloa wird die Landschaft karger. Der Monsun war in diesem Winter wenig ergiebig, die sonst üppig grünen Reisfelder sind verdorrt. Da die von den Rebellen kontrollierten Gebiete im Osten einem Flickenteppich gleichen, kommen wir immer häufiger an Checkpoints der Armee und der LTTE vorbei. Meistens verlaufen die Kontrollen reibungslos, nur einmal muss die Fahrt unterbrochen werden. Die zwei schwer bewaffneten LTTE-Kämpfer, die uns kontrollieren, würde man kaum älter als 14 Jahre schätzen.

Während im Norden mehrheitlich Tamilen leben, ist die Ostprovinz ethnisch durchmischt - Tamilen, Singhalesen und muslimische Mauren (Nachfahren arabischer und persischer Händler) stellen je etwa einen Drittel der Bevölkerung. Dies macht eine politische Lösung in dieser Region um einiges schwieriger. Die in den LTTE- kontrollierten Gebieten lebenden Muslime fürchten, dass sie dem Frieden geopfert werden und künftig unter einem Regime leben müssen, das sich wenig um die Rechte der Minderheit schert. Diese Angst ist nicht unbegründet. Nach der Eroberung Jaffnas durch die Rebellen 1990 hatten die LTTE die Muslime aufgefordert, den Norden zu verlassen. 100 000 Menschen flüchteten, und in der Folge kam es wiederholt zu Übergriffen gegen Muslime in den tamilischen Gebieten. Prabhakaran hat sich jüngst zwar für diese Vorkommnisse entschuldigt, und seine Unterhändler bei den Friedensgesprächen haben versprochen, die Minderheiten im Osten in die Autonomiediskussion einzubeziehen. Viele Muslime halten diese Mässigung aber für rein taktisches Kalkül.

Zelebrierung des Märtyrertums
Wir fahren durch Vaharai. Die Bevölkerung in dem zwischen Trincomalee und Batticaloa gelegenen Bezirk war gegen Ende des Krieges von der Armee abgeschnürt und buchstäblich ausgehungert worden. Die Unterstützung für die Rebellen wurde dadurch kaum schwächer. Im Gegenteil, viele tamilische Selbstmordattentäter sollen hier in der Küstenregion rekrutiert worden sein. Für über 200 Selbstmordanschläge werden die Befreiungstiger verantwortlich gemacht. Nicht nur im Ausmass der Gewalt, sondern auch in der Zelebrierung des Märtyrertums stehen die Tigers islamistischen Terrororganisationen im Nahen Osten in nichts nach. Auf der Fahrt kommen wir immer wieder an Denkmälern für getötete LTTE-Kämpfer vorbei. Am grössten und am aufwendigsten geschmückt sind jene, die an junge Frauen und Männer erinnern, die sich der tamilischen Sache als Selbstmordattentäter «geopfert» haben.

Tamilen, Singhalesen und Muslime hatten im Osten früher auf engem Raum zusammengelebt. Heute sind die meisten Dörfer getrennt. Selbst in grösseren Städten wie Batticaloa leben Tamilen und Muslime in separaten Quartieren. Gemeinsam ist ihnen nur noch die Kriegsmüdigkeit. Die Bevölkerung im Osten - unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit - wünscht sich heute vor allem eines, und das ist ein endgültiger Friedensschluss.



Kindersoldaten - ein trauriges Kapitel
spl. Repräsentanten der LTTE streiten im Gespräch rundweg ab, dass weiter Kindersoldaten rekrutiert werden. Die Realität sieht leider anders aus. Bis heute ziehen die Rebellen Mädchen und Knaben ein, zumeist gegen den Willen der Eltern. Trotz dem Waffenstillstand wird von den Familien in den LTTE-kontrollierten Gebieten weiter verlangt, dem Kampf für die tamilische Sache ein Kind zu opfern. Laut dem jüngsten Bericht des Uno-Kinderhilfswerks Unicef befinden sich in den Reihen der Befreiungstiger noch mindestens 1300 Minderjährige. Die Zahl dürfte allerdings noch höher liegen, weil viele Menschen im Nordosten nicht wagen, Zwangsrekrutierungen und andere Übergriffe der LTTE zu melden. Nach Angaben von Unicef wurden 2003 zwar rund 200 Kindersoldaten entlassen, gleichzeitig wurden aber über 700 Minderjährige neu rekrutiert.

Repräsentanten der Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM), die im Auftrag der Konfliktparteien den Waffenstillstand überwacht, vermitteln ein ähnliches Bild. Die grosse Mehrheit der Klagen, die momentan bei den 50 skandinavischen SLMM-Vertretern eingingen, kämen von Seiten der tamilischen Bevölkerung und beträfen die LTTE. Am häufigsten gehe es zwar um Enteignungen, Diebstahl, Belästigung und das Eintreiben übermässig hoher Steuern, das gravierendste Problem sei aber weiterhin die Rekrutierung von Kindersoldaten. Die Zahl der gemeldeten Fälle sei im letzten Jahr zwar leicht zurückgegangen. Die Lage sei aber weiterhin alarmierend.

Die LTTE geben zwar zu, dass in der Vergangenheit Kinder in ihren Reihen gekämpft haben. Sie versichern aber, diese hätten sich ihnen freiwillig angeschlossen. Sudha Master vom politischen Flügel der Organisation erklärt, Unterdrückung und Not habe viele Kinder in die Arme der LTTE getrieben. Die Zugelaufenen hätten oftmals ein falsches Alter angegeben, um aufgenommen zu werden. Heute sei man sich aber des Problems bewusst. Prabhakaran selbst habe die Weisung gegeben, keine Kinder mehr aufzunehmen und Minderjährige, die bereits rekrutiert worden seien, zu entlassen. Sudha Master beklagt, die Kindersoldaten würden im Friedensprozess als Propagandainstrument gegen die LTTE missbraucht. Gewisse Leute wollten mit üblen Gerüchten den Ruf der Tiger zerstören. Auch Puleedevan, Mitglied des Political Affairs Committee und des neu geschaffenen Peace Secretariat, kritisiert, Aussenstehende hätten ein verzerrtes Bild von der Lage im Nordosten. Die LTTE hätten jahrelang unter schwierigsten Bedingungen für das tamilische Volk gekämpft. Zwangsrekrutierungen habe es nie gegeben, doch seien möglicherweise einzelne Fehler begangen worden. Das Problem werde nun angegangen, verspricht er.



Die meisten LTTE-Kader haben sich selbst in jungen Jahren der Organisation angeschlossen. Vielen von ihnen dürfte das Verständnis dafür fehlen, dass sie mit dem Einsatz von Kindersoldaten Unrecht begehen. Da die Tiger heute aber nach internationaler Anerkennung streben und auf ausländische Hilfsgelder angewiesen sind, müssen sie sich - ob sie wollen oder nicht - mit der wachsenden internationalen Kritik auseinandersetzen. In ihrem eigenen Interesse sollten sie die Rekrutierung von Minderjährigen stoppen. Die ausländischen Geldgeber wiederum mögen, wenn es um die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien geht, dem Frieden zuliebe manchmal beide Augen zudrücken. In der Frage der Kindersoldaten sollten sie in jedem Fall hart bleiben und finanzielle Unterstützung an klare Konditionen binden.

Quelle - NZZ Online

Kein Weg zurück

Sri Lanka: Spaltung der Befreiungstiger offenbar unwiderruflich

Hilmar König

Allmählich lichtet sich der Nebel über den Hintergründen der Spaltung der tamilischen Befreiungstiger (LTTE). Immer deutlicher wird, daß es wohl kein Zurück von diesem für die Unabhängigkeitsbewegung tragischen Schritt, keine einvernehmliche Regelung zwischen Oberst Karuna alias Vinayagamurthi Muralitharan alias »Karuna Amman« (Onkel) und dem Rebellenchef Velupillai Prabhakaran geben kann. Karuna selbst hat mit seinen Äußerungen gegenüber einer indischen Zeitung dazu beigetragen.

Offenbar spitzte sich der zwischen beiden charismatischen Persönlichkeiten schwelende Konflikt gleich nach Abschluß des Waffenstillstandsabkommens zwischen der LTTE und der Regierung in Colombo im Feburar 2002 zu. Die im Wanni, dem von der Guerilla kontrollierten Dschungelgebiet im Norden der Jaffna-Halbinsel, sitzende Führung hatte bis dahin Karuna, ihren »Spezialkommandeur für den Osten«, konkret für Batticaloa und Amparai, ziemlich unbehelligt gelassen. Der Oberst schaltete in der Region nach Belieben und nutzte die Autonomie für manche Eskapade.

Nach dem Waffenstillstand bekam Prabhakaran aber die Hände frei, den Osten stärker an die Kandare zu nehmen. Er beschnitt den Einfluß des östlichen Commanders, dessen Kämpfertrupps ihm aus mancher Klemme geholfen hatten. Besonders hart traf den Obersten, daß Prabhakaran massenhaft Agenten des LTTE-Geheimdienstes (TOSIS) in die Region Batticaloa-Amparai einschleuste, die nicht nur Karunas Kreise störten und Operationen ausführten, die dem Ruf des »Herrn des Ostens« schadeten, sondern sich auch intensiv in dessen Privatangelegenheiten einmischten. So ist die Rede von einem Dossier, das angeblich Informationen über einen Mißbrauch von Fonds, eine außereheliche Affäre, den privaten Hausbau und dissidente Tendenzen von Karuna enthält. Als dem »Spezialkommandeur« dies zu Ohren kam, verstand er sofort, daß Prabhakaran ihn beseitigen wollte. Umgehend ging er daran, seine Einflußsphäre zu sichern, die TOSIS-Agenten festnehmen zu lassen, einen eigenen Geheimdienst aufzubauen und den LTTE-Chef zu attackieren. In einem Schreiben warf er ihm Hegemonialstreben und Vernachlässigung der Kader des Ostens vor. So verwies er darauf, daß auf keinem der 30 LTTE-Spitzenposten ein Vertreter aus der Region Batticaloa-Amparai sitzt.

Besonders ins Auge stach Karuna die Allmacht von TOSIS-Chef Pottu Amman, dessen Absetzung er verlangte. Als Prabhakaran auf alle Forderungen abschlägig reagierte, ließ es Karuna auf den Bruch ankommen, indem er die norwegischen Vermittler über die Situation informierte und um Weiterreichen seines Berichts an die Regierung in Colombo ersuchte. Das Hauptquartier im Wanni war entsetzt und enthob den »Verräter« am 6. März aller Funktionen. Bislang hatte das keine praktischen Auswirkungen, auch wenn einige der engsten Mitstreiter des Obersten zu Prabhakaran überliefen. Wie zuvor übt Karuna die Kontrolle über die Strukturen der Bewegung im Osten sowie über angeblich mehr als 7 000 Kämpfer aus. Sein »Reich« hat er vorerst militärisch gesichert. Natürlich will er das Eindringen von Kommandos verhindern, die ihn eliminieren wollen. Unter der tamilischen Bevölkerung genießt er weiterhin beträchtliches Ansehen.

In dem Interview für die Zeitung The Hindu äußerte Karuna Positionen, die so bislang von der LTTE nicht zu hören waren. Im Friedensdialog habe man beispielsweise mit Colombo nicht über die Schaffung eines Tamilen-Staates verhandelt, sondern lediglich »über die Möglichkeit eines föderalen Systems«. Heute existiere eine andere Situation in der Welt, angesichts der »es unmöglich ist, einen separaten Staat zu etablieren«. »Wenn wir das trotzdem versuchen, gibt es auf beiden Seiten nur noch mehr Zerstörung, aber keine Lösung. Wir werden keinen eigenen Staat bekommen. Ich bin überzeugt, wir können das (den ethnisch-sozialen Konflikt) nicht durch Krieg lösen«, sagte Karuna, der 20 Jahre lang für die LTTE kämpfte. Nach dem Attentat auf Rajiv Gandhi im Mai 1991, dem »schwersten Fehler des Geheimdienstes der LTTE«, sei der »Befreiungskampf ganz schlimm entartet«. Er selbst sei ja in Indien zu einer Zeit ausgebildet worden, als man die Rebellen als Befreiungskämpfer behandelte. Über Prabhakaran sagte er, eigentlich sei dieser »ein guter Mensch gewesen, wurde aber von der ihn umgebenden Clique verdorben« und dulde keinen Ebenbürtigen neben sich.

Die Wanni-Führung charakterisiert der Abtrünnige als arrogant. Sie glaube, sie könne tun, was sie wolle, auch andere Gemeinschaften unterdrücken. Diese Bemerkung hat besonderes Gewicht vor dem Hintergrund, daß im Osten Sri Lankas die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Tamilen, Singhalesen und Muslimen besteht. Ihr bietet sich Karuna nun indirekt als Führer an – und das drei Wochen vor den Parlamentswahlen. Die Stärke der LTTE lag bislang in ihrer Geschlossenheit und in der einhellig vertretenen und auch gegenüber Colombo durchgesetzten Auffassung, daß die Regionen des Ostens und des Nordens als Ganzes verwaltet werden müssen, egal, ob in einer föderalen Struktur oder in einem künftigen Tamilenstaat. Mit Karunas Kehrtwende zerbarst dieses Fundament. Sollte der Friedensdialog zwischen LTTE und einer eventuellen neuen Regierung nach den Wahlen wieder in Gang kommen, wird Colombo den neuen Tatsachen gewiß gern Rechnung tragen. Prabhakaran wurde empfindlich geschwächt. Deshalb wird er mit allen Mitteln versuchen, seinen Widersacher aus dem Weg zu räumen. So wie er es in der Vergangenheit stets mit Rivalen tat.

Hilmar König
Quelle - jungewelt -17.3.2004