06 April 2004

Das gefährliche Spiel mit dem Frieden

Sri Lanka wählt heute ein neues Parlament
Willi Germund

COLOMBO, 1. April.
Der Assistent von Kommandeur Karuna, irgendwo im Busch rund um Sri Lankas Stadt Batticaloa unterwegs, entschuldigt sich am Mobiltelefon: "Es tut uns Leid, aber die Lage muss sich erst wieder stabilisieren. Vielleicht ist nach den Wahlen ein Besuch bei uns möglich." Fünf Monate nach Beginn der Staatskrise in Sri Lanka wählen die Bewohner des südasiatischen Inselstaates an diesem Freitag ein neues Parlament.

Oberst Karuna, bis zum 3. März als Chef der "Landstreitkräfte" der Tamilenbewegung LTTE einer der mächtigsten Männer der Rebellen, fürchtet seine ehemaligen Mitstreiter und ist untergetaucht. LTTE-Chef Prabhakaran, der seit 1983 alle Widersacher ruchlos beseitigte, hat am Freitag den Befehl ausgegeben, Karuna auszuschalten, weil er sich samt einiger Tausend Kämpfer von der LTTE trennte.

Sri Lankas Streitkräfte glauben, bereits erste Pläne der LTTE-Führung, den abtrünnigen Kommandeur zu beseitigen, durchkreuzt zu haben. Sie wollen eine Gruppe von rund 100 Mitgliedern der LTTE-Kompanie Anthony abgefangen haben, die vom Norden Richtung Batticaloa unterwegs waren.

"Die sind genau wie wir", wundert sich in Sri Lankas Hauptstadt Colombo ein singhalesischer Beobachter. Historisch scheiterten alle Versuche, die rund drei Millionen hinduistischen Tamilen und etwa 18 Millionen buddhistischen Singhalesen auszusöhnen, am politischen Streit in der Elite der Bevölkerungsmehrheit. Nun verschärft der tamilische Bruderzwist zwischen LTTE-Chef Prabhakaran und seinem abtrünnigen Kommandeur Karuna die Krise auf der Tropeninsel.

Staatspräsidentin Chandrika Kumaratunga entmachtete im November die Regierung ihres politischen Widersachers Premierminister Ranil Wickramasinghe und löste das Parlament auf. Am heutigen Freitag sollen Sri Lankas Wähler nun für Klärung beim Machtkampf zwischen Premierminister und Präsidentin sorgen. Doch das Ergebnis wird wahrscheinlich anders ausfallen: Weder die Präsidentin noch der Premierminister dürften als Sieger aus den Wahlen hervorgehen, sondern ultranationalistische singhalesische Parteien, die den Frieden mit der LTTE ablehnen sowie die TNA, eine von der LTTE abhängige Tamilenpartei.

Meinungsumfragen suggerieren freilich, dass viele Singhalesen gut zwei Jahre nach Beginn der Feuerpause bereits den blutigen Bürgerkrieg mit seinen 66 000 Toten vergessen haben - und die Verzweiflung, mit der sie versuchten, ihre Kinder vor dem Wehrdienst zu retten. Stattdessen empört sich vor allem die Landbevölkerung über die Verteuerung der Lebenshaltungskosten. "Ranil Wickramasinghe und seine Leute haben sich in den Büros in der Hauptstadt vergraben und der Landbevölkerung die Friedensdividende vorenthalten", beschreibt Perera die Gründe für den wahrscheinlichen Niedergang des Premierministers.

Kumaratungas Freiheitsallianz (UPFA) hofft deshalb auf einen Sieg. Doch ihre Hoffnung auf eine Mehrheit steht und fällt mit dem Abschneiden der ehemaligen kommunistischen Guerillabewegung JVP im Süden des Landes.

Und dann gibt es noch die neue Partei Hela Urumaya. Es ist die Partei der Bikkhus, wie die nationalistischen buddhistischen Mönche in Sri Lanka genannt werden. Sie wollen einen Kirchenstaat, "um Korruption und Misswirtschaft" auszurotten. Wie die Praxis aussieht, ist im Stadtteil Kattherama von Colombo zu sehen. Dort hat der Bikkhu von Kattherama eine kleine Moschee niederbrennen lassen, weil die Moslems des Stadtviertels mit Behördengenehmigung ein zusätzliches Stockwerk bauen wollten, in dem Kinder unterrichtet werden sollten.

- Willi Germund -
Quelle - Berlin Online - 2.4.2004

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