08 January 2005

Die Helfer misstrauen sich

In Sri Lanka fällt es der Regierung und den tamilischen Rebellen nicht leicht, bei der Fluthilfe zusammenzuarbeiten

AUS COLOMBO RALF LEONHARD

"Alle Regionen werden gleichermaßen versorgt." Sri Lankas Präsidentin Chandrika Kumaratunga war bald nach der Katastrophe bemüht, als Mutter der gesamten Nation aufzutreten. Den Transporten von Hilfsgütern in die entlegenen Gebiete unter der Kontrolle der Tamil Tigers (LTTE) solle sogar Priorität eingeräumt werden. Die LTTE verwaltet seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 einen Teil des Nordens als de facto autonomes Gebiet. Zwar kontrolliert die Regierung den mehrheitlich von der tamilischen Minderheit bewohnten Nordosten und Osten, doch die LTTE hat viel Einfluss auf die tamilische Bevölkerung.

In den ersten Tagen klagten die Tamil Tigers, die Regierung vernachlässige die Tamilengebiete. Nach einem Treffen mit Regierungsvertretern am vergangenen Mittwoch wurde der Vorwurf nicht mehr öffentlich wiederholt. Man einigte sich, während der Hilfsaktionen und der Phase des Wiederaufbaus zusammenzuarbeiten. Allerdings weigerte sich die LTTE-Führung, sich in die Task Force der Regierung einzufügen. Vielmehr werde sie lokale Vertreter der Behörden in ihre Strukturen aufnehmen.

Was wie Arroganz klingt, dürfte auch mit der Wirksamkeit der eigenen Organisation begründet sein. Der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung, der seit Jahren zwischen Regierung und Rebellen vermittelt, war am Wochenende in Kilinochchi, dem Sitz der provisorischen LTTE-Verwaltung. Der Professor zeigte sich beeindruckt von der Effizienz der LTTE bei den ersten Rettungs- und Aufräumarbeiten: "Ich habe schon viele Katastrophengebiete gesehen, aber so eine Effizienz, die gleichzeitig für die Opfer nicht demütigend ist, habe ich noch nicht erlebt." Der Strand der Stadt Mulaittivu, wo die Flutwelle mit voller Wucht aufprallte, sei gereinigt: "Es liegen keine Leichen herum. Die Opfer sind in acht Lagern untergebracht und es herrschen große Ruhe und Würde." Auch Ranil Wickremesinghe, Anführer der größten Oppositionspartei UNF, glaubt an die Organisationsfähigkeit der Rebellen und plädiert dafür, sie die Hilfsgüter eigenständig verwalten zu lassen.

In den gemischten Tamilengebieten im Nordosten und Osten wurden gemischte Task Forces gebildet, in denen je ein Vertreter der Rebellen, der Regierung und der internationalen NGOs oder der Vereinten Nationen mitarbeiten. Laut dem Regierungsbeauftragten Velmurugu Shanmugam in Batticaloa funktionieren diese Einheiten tadellos. Bashir Tani, der das Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen in Batticaloa leitet, ist etwas zurückhaltender in seiner Beurteilung. Die Zusammenarbeit funktioniere eher oberflächlich: "Niemand will als Hindernis gesehen werden." Aber auf oberster Ebene traut man einander nicht über den Weg. Premierminister Mahinda Rajapakse hatte die lokale LTTE-Vertretung bei einem Besuch in Batticaloa zu einem Treffen in die Kaserne eingeladen, was diese ablehnte. Schließlich einigte man sich auf das Büro der Zivilverwaltung.

Das Planungs- und Entwicklungssekretariat der LTTE hat bereits begonnen, die materiellen Bedürfnisse für die nächste Zeit zu ermitteln. Laut S. P. Thamilchelvan, Chef des politischen Arms der LTTE, ist die Einbindung der Regierung vorgesehen.

Wie gespannt die Lage in manchen Teilen des Tamilengebietes ist, beweist ein Zwischenfall in der Ortschaft Kudathanai im Bezirk Jaffna. Dort ist am Wochenende eine Schule niedergebrannt worden. Sie hatte 67 obdachlosen Familien Zuflucht geboten. Der Konflikt soll entstanden sein, als einige der Flüchtlinge die Versorgung durch die Armee ablehnten. Soweit die Übereinstimmung. Aber die Armee und die Rebellen machen sich gegenseitig für die Tat verantwortlich.

Ein weiterer Konflikt bahnt sich an, wenn, wie angekündigt, 1.500 Marines der US-Armee ins Land kommen. 54 sind als Voraustrupp bereits gelandet. Ihre vordergründige Aufgabe soll es sein, mit ihrem Spezialgerät im Süden und im östlichen Hafen Trincomalee die Aufräumarbeiten zu übernehmen. Die Rebellen misstrauen aber den Beteuerungen der Regierung, es handle sich um eine rein zivile Mission. Der Konfliktforscher Johan Galtung vermutet, dass die US-Soldaten die Schwachpunkte der LTTE auskundschaften wollen. Schließlich stehen die Tamil Tigers in den USA auf der Liste terroristischer Organisationen.

taz Nr. 7556 vom 5.1.2005, Seite 3, 120 Zeilen (TAZ-Bericht), RALF LEONHARD

Quelle - dietageszeitung - 6.1.2005

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