06 March 2004

Ungewisse Zukunft des sri-lankischen Friedensprozesses

Lähmender Machtkampf zwischen dem Regierungschef und der Präsidentin in Colombo

Ein Machtkampf zwischen dem Premierminister und der Präsidentin blockiert den Friedensprozess in Sri Lanka. Zwar hält der vor zwei Jahren vereinbarte Waffenstillstand, doch die Gespräche zwischen der Regierung und den tamilischen Rebellen sind eingefroren. Die angesetzten Neuwahlen werden daran wenig ändern, wenn sich die beiden grossen singhalesischen Parteien nach dem Urnengang nicht zusammenraufen.

Von unserer Auslandredaktorin Andrea Spalinger

Colombo, im Februar

Im Februar vor zwei Jahren haben die sri-lankische Regierung und die tamilischen Rebellen einen Waffenstillstand vereinbart, der bis heute hält. Insbesondere für die Bevölkerung in den umkämpften Gebieten im Norden und Osten des Landes bedeutete diese Waffenruhe eine wahre Erlösung. Nach einem zwanzigjährigen blutigen Bürgerkrieg, während dessen über 65 000 Personen getötet und bis zu 800 000 vertrieben wurden, können die Menschen in dieser Region erstmals wieder ein einigermassen normales Leben führen. Selbst in der Hauptstadt Colombo, die vergleichsweise wenig vom Krieg mitbekommen hat, ist Erleichterung über die eingekehrte Normalität zu spüren. Die einst allgegenwärtigen Checkpoints sind aus dem Strassenbild verschwunden und mit ihnen auch die ständige Angst vor Anschlägen tamilischer Selbstmordattentäter.

Hoffnungsvoller Verhandlungsbeginn
Während der ersten sechs Gesprächsrunden zwischen der Regierung und den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) wurden einige Durchbrüche erzielt. So einigte man sich darauf, nach einer «politischen Lösung» zu suchen, die auf einer «föderalen Struktur innerhalb eines geeinten Sri Lanka» basiert. Je weiter man jedoch zum Kern des Konflikts vordrang, desto schwieriger wurden die Diskussionen. Das Gesprächsklima verschlechterte sich überdies durch militärische Zwischenfälle im Norden des Landes, und die Konfliktparteien warfen sich gegenseitig vor, den Waffenstillstand systematisch zu verletzen.

Als sich die LTTE im April vergangenen Jahres aus den Verhandlungen zurückzogen, weil sie als in den USA verbotene terroristische Organisation nicht zu einem internationalen Sri-Lanka-Treffen in Washington eingeladen worden waren, machte sich Ernüchterung breit. Zu grosser Pessimismus schien gleichwohl nicht angebracht, denn das Tempo der Verhandlungsfortschritte hätte so oder so kaum durchgehalten werden können, und eine Denkpause schien sinnvoll. Hinter den Kulissen suchten die norwegischen Vermittler weiter nach einem Ausweg aus der Sackgasse. Auch andere Staaten übten diskreten diplomatischen Druck auf die Streitparteien aus, den jahrzehntealten Konflikt endlich zu lösen. An einer internationalen Geberkonferenz im Juni in Tokio wurden dem südasiatischen Land für die folgenden vier Jahre Hilfsgelder in der Höhe von 4,5 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Die Auszahlung der unerwartet grosszügigen Finanzhilfe wurde an die Wiederaufnahme des Dialogs geknüpft, und die Geberländer riefen die LTTE eindringlich dazu auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Im Oktober zeichnete sich eine Wiederannäherung ab. Anfang November legten die Rebellen schliesslich einen Vorschlag für eine Interimslösung vor, der ihnen in den mehrheitlich tamilischen Gebieten im Norden und Osten des Landes weitgehende Vollmachten einräumte. Premierminister Wickremesinghe erklärte, das Dokument gehe bezüglich der Autonomie zwar viel zu weit, könne aber als Verhandlungsgrundlage dienen. Dies scheuchte die Präsidentin auf. Am 4. November entliess Chandrika Kumaratunga die Minister für Inneres, Verteidigung und Information und löste damit eine Regierungskrise aus. Offiziell begründete sie ihren Schritt mit der Angst vor einer Spaltung des Inselstaates. Wickremesinghe habe den tamilischen Verhandlungspartnern gegenüber zu viele Konzessionen gemacht, kritisierte sie. Der Premierminister erklärte daraufhin, solange die Präsidentin Schlüsselressorts der Regierung in der Hand halte, sehe er sich nicht in der Lage weiterzuverhandeln. Anfang Februar löste Kumaratunga das Parlament auf und setzte Neuwahlen für den 2. April an.

Eine Feindschaft mit langer Tradition
Man kann sich fragen, ob es legitim war, eine Regierung zu Fall zu bringen, die eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich hatte und deren Friedenskurs in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stiess. Der Grund für das Eingreifen Kumaratungas waren wohl auch weniger ernste Meinungsverschiedenheiten über den Friedensprozess als die Sorge, von Wickremesinghe übergangen zu werden. Chandrika Kumaratunga und Ranil Wickremesinghe sind nicht nur in ihrer Funktion als Führer der beiden grossen Volksparteien des Landes politische Gegner, sie verbindet auch eine tiefe persönliche Feindschaft. Die beiden gehören zwei rivalisierenden Familiendynastien an, welche die sri-lankische Politik seit der Unabhängigkeit von Grossbritannien 1948 massgeblich geprägt haben.

Bei den Präsidentschaftswahlen 1999 siegte Kumaratunga knapp gegen Wickremesinghe. Zwei Jahre später gewann dessen liberal-konservative United National Party (UNP) jedoch die Parlamentswahlen gegen die linksgerichtete Sri Lankan Freedom Party (SLFP) der Präsidentin. Die Folge war eine prekäre Kohabitation der beiden Erzfeinde, die zum heutigen politischen Patt führte. Nicht zum ersten Mal in der sri-lankischen Geschichte verhindert damit ein Machtkampf im Süden eine Annäherung zwischen der tamilischen Minderheit und der singhalesischen Mehrheit. Eine Lösung des ethnischen Konflikts wird erst dann möglich sein, wenn die beiden grossen singhalesischen Parteien an einem Strick ziehen, denn die Schaffung einer föderalen Ordnung setzt eine Verfassungsänderung voraus, für die eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig ist.

«Das grösste Problem Sri Lankas ist nicht der jahrzehntelange Bürgerkrieg zwischen dem Süden und dem Norden. Der Konflikt hätte mit etwas gutem Willen längst gelöst werden können», erklärt eine höhere Beamtin im Aussenministerium in Colombo bei einer Tasse Tee. «Das wirkliche Problem sind die Politiker. Diesen ist es noch nie um das Wohl des Landes gegangen, sondern einzig und allein um ihre Macht.» Mit dieser Einschätzung steht die junge Singhalesin keineswegs alleine da, immer wieder bekommt man Ähnliches auf der Reise durch das Land zu hören.

Prekäre Machtbalance
Zum dritten Mal innerhalb von dreieinhalb Jahren wählen die Sri Lanker im April nun ein neues Parlament. Die prekäre Machtbalance wird dadurch kaum entscheidend verändert. Weder die Sri Lankan Freedom Party noch die United National Party werden eine Zweidrittelmehrheit erreichen. Gewinnt die UNP die Wahlen, wird dies Wickremesinghe stärken. Kumaratunga hält als Präsidentin jedoch bis Ende 2005 weiter die Zügel in der Hand. Das sri-lankische Präsidialsystem räumt dem Staatsoberhaupt noch weiter gehende Vollmachten ein als etwa das französische oder das amerikanische. Gemäss der Verfassung ernennt und entlässt die Präsidentin den Premierminister und das Kabinett. Sie bestimmt die Obersten Richter und als Oberbefehlshaberin der Armee auch die höheren Offiziere. Ein Jahr nach den Wahlen kann sie das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen.

Gamini Lakshman Peiris, der Verhandlungsführer der Regierung bei den Friedensgesprächen mit den LTTE, erklärt, ein klarer Sieg seiner Partei sei wichtig für den Fortgang der Verhandlungen. Zwar werde die UNP auch künftig auf die Unterstützung der SLFP angewiesen sein. Wenn die Bevölkerung den Kurs Wickremesinghes jedoch mit grosser Mehrheit stütze, werde es für die Präsidentin schwierig, den Friedensprozess weiter zu blockieren. Politische Beobachter erwarten allerdings einen knappen Wahlausgang. Im Süden - wo nicht mehr wie 2001 der Frieden das Wahlkampfthema Nummer eins sein wird, sondern die wirtschaftliche Lage - klagen viele über die Folgen der liberalen Wirtschaftspolitik der UNP. Dies könnte der linksgerichteten SLFP einige Stimmen bringen. Zudem hat die Präsidentin mit ihrer Warnung, zu weit gehende Zugeständnisse gegenüber den Tamilen könnten zu einer Spaltung der Insel führen, eine unter den Singhalesen verbreitete Furcht angesprochen.

Sollte Kumaratunga gewinnen, muss dies nicht das Ende des Friedensprozesses bedeuten. In der Vergangenheit hatte sie sich selbst schon einmal um eine Einigung mit den LTTE bemüht. Die Ermordung ihres Ehemannes durch tamilische Attentäter 1988 und ein Anschlag der LTTE 1999, bei dem sie ein Auge verlor, scheinen die Präsidentin aber verbittert zu haben. Der Dialog mit den Tamilen dürfte im Falle eines Wahlsiegs der SLFP deshalb kaum leichter werden.

Unheilige Allianz
Nicht zuletzt stimmt die kürzlich geschlossene Allianz der SLFP mit der marxistisch-nationalistischen Janatha Vimukti Peramuna (JVP) nachdenklich. Der bisherige Oppositionsführer, Mahinda Rajapakse, betont zwar, die Koalition seiner Partei mit der JVP werde kein Hindernis für den Friedensprozess sein. «Wenn wir die Wahlen gewinnen, wird weiterverhandelt», versichert er. Solch beschwichtigende Worte können aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Politik der JVP nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wenig Gutes erwarten lässt. Die Partei hat die Selbstbehauptung der singhalesisch-buddhistischen Bevölkerungsmehrheit auf ihre Fahne geschrieben und macht kein Geheimnis aus ihrer antitamilischen Haltung. In den vergangenen zwei Jahren hat sie zahlreiche Demonstrationen gegen den Waffenstillstand organisiert und die Vermittlerrolle Norwegens als Einmischung des westlich-christlichen Auslands kritisiert.

Kumaratungas - wahltaktisch begründetes - Zusammengehen mit einer Partei, die noch vor wenigen Jahren dem terroristischen Untergrund zugerechnet wurde, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn die Staatspräsidentin tatsächlich, wie sie behauptet, eine echte Autonomielösung für die Tamilen anstrebt, wird sie nach den Wahlen Probleme mit dem Koalitionspartner bekommen. Wenn sich eine Mehrheit in ihrer Partei hingegen der JVP annähert und nur noch eine begrenzte Dezentralisierung akzeptiert, ist die Waffenruhe ernsthaft gefährdet.

Ein neuerlicher Krieg wäre für das Land verheerend. Die letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, dass beide Seiten die Auseinandersetzung militärisch nicht gewinnen können. Es ist zu hoffen, dass sich die Politiker in Colombo ihrer Verantwortung bewusst werden und sich nach den Wahlen wieder auf den Verhandlungspfad begeben. Kein Krieg bedeutet nämlich noch lange kein Friede, und bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts ist noch ein weiter Weg zurückzulegen. Immerhin standen die Chancen dafür noch nie so gut wie heute.

Grosse Herausforderungen
spl. Auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden sind selbst im Falle einer Wiederaufnahme der Verhandlungen noch beträchtliche Hindernisse zu überwinden. Die massgeblichen Streitpunkte wurden während der ersten Gesprächsrunden noch nicht thematisiert, und die Vorstellungen der Singhalesen und der Tamilen über die Form der künftigen föderalen Ordnung gehen sehr weit auseinander. Die LTTE gefallen sich heute in der Rolle der Musterschüler. In ihrem Hauptquartier in Kilinochchi betonen alle Gesprächspartner, sie seien zu einer friedlichen Lösung des Konflikts bereit und warteten auf die Fortsetzung der Gespräche. Der Verhandlungsführer der LTTE, Anton Balasingham, hat ausserdem versichert, seine Organisation werde sich weiter an den Waffenstillstand halten. Die Fakten deuten jedoch darauf hin, dass sich die Befreiungstiger kampfbereit halten. In den vergangenen zwei Jahren ist es laut der Sri Lankan Monitoring Mission - einer aus Vertretern skandinavischer Länder zusammengesetzten Organisation, die den Waffenstillstand überwacht - zu zahlreichen Verletzungen des Abkommens durch die Rebellen gekommen. Auch Berichte von Menschenrechtsorganisationen lassen keinen Zweifel daran, dass die LTTE unvermindert aufrüsten und Kämpfer rekrutieren.

In den Jahren des bewaffneten Widerstandes haben sich die Tiger zu einer überaus disziplinierten militärischen Organisation entwickelt. Bis heute ist es ihnen nicht gelungen, diese in eine demokratische politische Organisation zu verwandeln. Nicht nur die muslimische Minderheit im Nordosten des Landes, sondern auch viele Tamilen leiden heute unter der autoritären Herrschaft der LTTE. Die Befreier sind vielerorts zu Unterdrückern geworden, die unverhältnismässig hohe Steuern eintreiben, Kinder zwangsrekrutieren und politische Gegner wie auch missliebige Personen aus den eigenen Reihen umbringen. Wenn sich die LTTE in absehbarer Zeit nicht radikal verändern, werden sie eine schwere Hypothek für den Friedensprozess darstellen.

Quelle - www.nzz.ch
6.3.2004

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