09 March 2004

Rebellion unter den sri-lankischen Rebellen?

9. März 2004, 02:05, Neue Zürcher Zeitung

Machtkampf bei den Liberation Tigers of Tamil Eelam

Erstmals in ihrer Geschichte ist die tamilische Rebellenorganisation LTTE in Sri Lanka mit einer Rebellion in den eigenen Reihen konfrontiert. Am Samstag wurde der Regionalkommandant im Osten wegen «Verrats» entlassen, nachdem er offenbar einer Order zur Verlegung von Truppen nicht nachgekommen war.

By. Karachi, 7. März

Die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) haben am Samstag den Regionalkommandanten im Osten Sri Lankas wegen «verräterischer Tätigkeit gegen das tamilische Volk» entlassen. Muralithatan, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre «Colonel Karuna», hatte sich offenbar geweigert, 1000 seiner rund 6000 Kämpfer in den Norden zu verschieben. Das Zerwürfnis mit der zentralen Führung kam an den Tag, als Karuna vor vier Tagen einen Brief an den Guerillachef Prabhakaran richtete, in dem er seine Region der direkten Kontrolle Prabhakarans unterstellen wollte, statt wie bisher an die über zwei Dutzend Departementsvorsteher der Organisation zu rapportieren. Am Donnerstag wurde allerdings bekannt, dass Colonel Karuna der sri-lankischen Regierung und den norwegischen Vermittlern angeboten hatte, einen separaten Waffenstillstandsvertrag auszuhandeln.

Es ist nicht bekannt, ob diese Entwicklung nur den Ausbruch einer lange schwelenden Krise darstellt. Man weiss aber, dass zwischen den Tamilen des Nordens und jenen des Ostens Spannungen herrschen, basierend auf der weitverbreiteten Auffassung im Osten (und unter den Plantagen-Tamilen in der zentralen Bergregion), dass die Jaffna- Tamilen jene aus anderen Regionen zu dominieren trachten. Die LTTE-Führung handelte rasch. Sie beorderte alle militärischen und politischen Offiziere unter Karuna ins Hauptquartier nach Kilinochchi. In einer Sitzung des Zentralkomitees wurde Karuna am Samstag angeklagt, eine Sezession von der Befreiungsorganisation geplant zu haben. Sein Stellvertreter Ramesh wurde zu seinem Nachfolger ernannt. An einer anschliessenden Pressekonferenz, bei der alle Offiziere aus Karunas Region antraten, erklärte der Chef des politischen Flügels, Tamilchelvan, der Friedensprozess werde durch diesen Verrat nicht berührt.

Zeitungen in Colombo zitierten am Sonntag Armeequellen, wonach Tausende von Kämpfern, die zu Karuna stehen, ihre Posten in den Städten Batticaloa und Amparai verlassen und sich in die Wälder zurückgezogen hätten. Eine Rebellion in der LTTE-Führung ist ein beinahe unerhörtes Ereignis. Der Erfolg der Tamil Tigers wird von Beobachtern auf die quasi-stalinistische Kontrolle durch Prabhakaran zurückgeführt, der potenzielle Rivalen innerhalb der LTTE ebenso kaltblütig eliminiert wie Kampfgefährten aus anderen Tamilen-Organisationen. Karuna ist Prabhakarans ältester Kampfgefährte und der Einzige, der in siebzehn Jahren seinen Posten als Regionalkommandant nicht verloren hat. Er geniesst den Ruf eines brillanten Strategen. Die Eroberung des wichtigsten Brückenkopfs der sri-lankischen Armee beim Elefantenpass im April 2000 wird ihm zugeschrieben. Karuna gehörte auch der LTTE- Delegation in den Friedensverhandlungen an.

Der Friedensprozess, der bereits seit längerem blockiert ist, wird damit noch unsicherer. In Colombo lehnte ein Militärsprecher den Wunsch Karunas nach einem separaten Waffenstillstand ab. Auch dessen Gesuch um militärischen Schutz vor der Rache Prabhakarans sei abgelehnt worden. Für den autoritären LTTE-Chef wäre ein solcher Schutz zweifellos ein Casus Belli.

Quelle - NZZ Online (Neue Zürcher Zeitung)

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